Selbstverteidigung steht an erster Stelle

■ Ein neuer Freiraum für Frauen: In Ost-Berlin gibt es seit einem Vierteljahr das „Erste Berliner Frauenzentrum“ / Mit der Gleichstellungsbeauftragten gibt es bereits Ärger / Heiße Diskussion und Kompromisse um die „Männerfrage“

Prenzlauer Berg. Die Geschichte des ersten Ostberliner Frauenzentrums begann in der Nacht zum 3. Dezember 1989. Gisela Koch, 50 Jahre, bis dahin Hausfrau und arbeitslose Kulturwissenschaftlerin, saß am Schreibtisch und verfaßte einen Aufruf zum „Ersten Weiblichen Aufbruch“ (EWA) in der DDR. Sie verlas ihn am nächsten Tag bei der Gründungsversammlung des UFV in der Berliner Volksbühne, und seitdem gibt es die Frauengruppe EWA. Etwa dreißig Frauen aus dem Stadtbezirk Prenzlauer Berg haben sich zusammengefunden, Studentinnen, Arbeiterinnen und Rentnerinnen, die jüngste ist 19, die älteste 73 Jahre alt. Ihr Motto bei der Eröffnungsfeier des Frauenzentrums im April: „Wir wollen uns nach dem Apfel strecken und nicht nach dem Kohlkopf bücken!“ Erster Ertrag ihres Aufbruchs: das Frauenzentrum Prenzlauer Allee.

Sechs Frauengruppen teilen sich die Räume des alten Jugendklubs, der in ein Frauen- und Kindercafe umgewandelt wurde, vier Treppen höher kann eine ehemalige Stasi-Etage genutzt werden. Neben EWA treffen sich hier auch SOFI und LISA (Sozialistische Fraueninitiative bzw. Linkssozialistische Frauenalternative), im vierten Stock residiert „Hex Libris“ mit Frauenbibliothek und -archiv, die „Rote Rosa“ will Ausländerinnen und ältere Frauen ansprechen, die „Lila Offensive“ lädt zur „Weiberakademie“ ein.

Wie schwierig im neuen Deutschland der Kampf um Freiräume ist, bekamen die Frauen des Frauenzentrums schon bald zu spüren. Dem Übergangsmagistrat waren sie sechs Planstellen und die Miete für die Räume wert, gleichzeitig erkannte er ihre inhaltliche Autonomie an. Die neue Stadträtin für Gleichstellung, Eva Kunz (SPD), der das „Erste Berliner Frauenzentrum“ formal unterstellt ist, befand nun: Eine „autonome“ Behörde kann es nicht geben, der Geldgeber habe die Hoheit über Personal und Inhalte. Die Frauen erfuhren durch ein Rechtsgutachten aus dem Hause der Westberliner Frauensenatorin Klein, daß die Konstruktion ihres Zentrums nach bundesdeutschem Gesetz unhaltbar sei. Die größte Sorge: Andere Frauenprojekte könnten auf Gleichbehandlung klagen.

Für die Gruppen des Frauenzentrums bedeutet die Gleichbehandlung mit autonomen Frauenprojekten in West -Berlin, daß jede Gruppe einzeln um Gelder und Stellen kämpfen muß und ihre Anträge jedes Jahr neu geprüft werden. „EWA muß mit der Konkurrenz anderer Projekte leben lernen“, fordert Eva Kunz, die sich vom Wettbewerb unter den Frauenprojekten eine Belebung des Angebots erhofft. Frau muß Leistung zeigen, um Geld zu bekommen, und das auch bei Selbsthilfe- oder Beratungsprojekten.

„Vielleicht sind wir ein bißchen naiv gewesen“, resümiert Gisela Koch nach vier Monaten Arbeit im Frauenzentrum. Daß der Erste Weibliche Aufbruch jetzt gegen die Türen des Schöneberger Rathauses anrennen muß, war nicht eingeplant. Im Frauenzentrum wird die Energie der Frauen viel dringender benötigt. Das Cafe ist montags und mittwochs geöffnet, in den Kellerräumen laufen bereits Tanzkurse für Frauen und Kinder und ein Kurs zur kreativen Gestaltung. Ab August können sich Schwangere im Frauenzentrum auf die Geburt vorbereiten. Im Cafe liegt eine Liste aus, die die Wünsche der Frauen festhält. An erster Stelle rangiert ein Kurs zur Selbstverteidigung. An der Wand hängt eine andere Wunschliste: Spielzeug für die Kinderbetreuung, Werkzeug für die Werkstattkurse, Fußbodenbeläge und Waschbecken für alle. Silke Bach, Diplomphilosophin und verantwortlich für Kultur und Kunst im Frauenzentrum, braucht Bilderrahmen für eine Frauengalerie im Cafe, „Hex Libris“ braucht neue Regale, um den wachsenden Bücherbestand zu bändigen. Die Frauenbibliothek gibt es schon seit zwei Jahren, in einer Privatwohnung der Kirche wurde die eingeschleuste „illegale“ Frauenliteratur sorgsam gehütet. Petra Purschke, eine der „Hex-Libris„-Frauen, registriert die meisten Ausleihwünsche für psychologische Bücher, Rechtsratgeber und Lesbenliteratur. Auch nach West-Berlin wurden Kontakte aufgebaut - eine Rechtsanwältin berät wöchentlich kostenlos zum neuen Arbeits-, Miet- und Familienrecht. Die Frauen vom feministischen Finanzierungsnetzwerk „Goldrausch“ wollen Kurse zur Betriebswirtschaft anbieten.

Heiß diskutiert wird die Frage: Darf er rein oder nicht? In der „Männerfrage“ haben sich die Frauen zunächst auf einen Kompromiß verständigt: Das Cafe darf mann in Begleitung von Frauen oder Kindern betreten, die Kurse und Beratungsprojekte sind den Frauen vorbehalten, ansonsten muß jede Frauengruppe selbst entscheiden. Viele Frauen im Ersten Berliner Frauenzentrum rechnen noch mit den Männern als Mitstreiter für ihre Ziele. Für Gisela Koch wird es immer wichtiger, „erst mal die Fronten zu klären“. Denn: „Die Frauen müssen sich als Kraft selbst erleben und ihr eigenes Miteinander finden. Vielleicht ist die Gegnerschaft dann unvermeidbar. Denn wenn wir was wollen, wollen wir auch was von den Männern.“

Claudia Haas