„Berliner Linie“ auch in Ost-Berlin

■ Der Magistrat will keine neuen Hausbesetzungen zulassen / Mit Bewohnern bereits besetzter Häuser soll verhandelt werden / Ziel: Sanierungsverträge mit den Eigentümern / Innenstadtrat: Berlin darf kein Mekka für Hausbesetzer werden

Ost-Berlin. Die im Februar 1981 unter dem damaligen Regierenden Bürgermeister Hans-Jochen Vogel (SPD) entwickelte (West-)„Berliner Linie“ für besetzte Häuser soll jetzt auch in Ost-Berlin zur Anwendung kommen: In seiner gestrigen Sitzung beschloß der Ostberliner Magistrat, neue Besetzungen in Zukunft „zu verhindern“. Allen Bewohnern bereits besetzter Häuser sollen Verhandlungen angeboten werden mit dem Ziel, zwischen den Eigentümern und den Besetzern Verträge über eine Wohnraumsanierung abzuschließen.

Wie der Stadtrat für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr, Clemens Thurmann (SPD), vor der Presse erklärte, will der Magistrat in der zweiten Jahreshälfte 20 Millionen DM bereitstellen, um Sanierungsverträge zu unterstützen. „Kommen keine Verträge über die Wohnrauminstandsetzung zustande, ist die Beendigung der Hausbesetzung geboten“, umschrieb Thurmann den Zeitpunkt, an dem die Polizei zugezogen werden soll. Innenstadtrat Thomas Krüger (SPD) betonte aber, die polizeiliche Räumung solle nur als letztes Mittel angewandt werden, vorher will man versuchen zu verhandeln: „Wir wollen keine schnelle Lösung mit großem Polizeiaufmarsch wie in der Hafenstraße, sondern vernünftig agieren.“ Die „modifizierte Berliner Linie“, wie Krüger das Konzept bezeichnete, sieht auch vor, eine Projektgruppe der Verwaltungen von Thurmann und Krüger einzurichten, die Sanierungsvorschläge erarbeiten soll. Auf der Grundlage dieser Vorschläge könnten dann Besetzern Verträge angeboten werden.

Ein Rezept dafür, wie Neubesetzungen in Zukunft zu verhindern sind, wußten die beiden Stadträte nicht zu geben. In Ost-Berlin stehen derzeit etwa 25.000 Wohnungen leer, auf der anderen Seite werden 50.000 Wohnungen gebraucht. Nach Thurmanns Angaben seien etwa 1.500 sofort beziehbar, weitere 13.000 könnten mit kurzfristigen Maßnahmen bezugsfertig gemacht werden. Im Moment sind nach offiziellen Schätzungen 98 Häuser besetzt, tatsächlich dürften es aber um die 110 sein. Während bisher vor allem in den Innenstadtbezirken Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain Besetzungen stattfanden, werden neuerdings auch in Köpenick und Lichtenberg Häuser ohne gültige Verträge bewohnt.

Krüger reagierte scharf auf die Tatsache, daß in vielen Häusern Besetzer aus dem Westen wohnen: „Es kann nicht sein, daß Ost-Berlin zum Mekka für Pseudolinke und andere Desperados wird.“ Die militanten Besetzergruppen vor allem seien „international“ zusammengewürfelt. „Ost-Berlin ist derzeit die am leichtesten besetzbare Stadt Europas“, sorgt sich der Innenstadtrat, der in dem Hausbesetzerproblem auch ein großes Wahlkampfthema befürchtet.

Für sechs Häuser gebe es bereits vertragliche Lösungen, mit denen die Besetzer zur Übernahme von Sanierungsarbeiten verpflichtet würden. Noch keine konkreten Angaben wollten Thurmann und Krüger zum Kulturprojekt „Tacheles“ machen: Krüger versicherte, die Affinität gerade zu diesem Projekt sei von seiner Seite aus sehr eng. Ob das Haus aber baulich gehalten werden kann, ist nach Meinung von Thurmann unsicher. Ein Gutachten über den Zustand des Hauses liege noch nicht vor.

Ein weiteres Problem in Ost-Berlin sind die sogenannten „Kaltbesetzungen“ durch Wohnungssuchende, die in die zahlreich leerstehenden Wohnungen einziehen. Die KWVs verfahren hier in den einzelnen Stadtbezirken nach unterschiedlichen Methoden: Manchem illegalen Mieter wird ein Vertrag geboten, anderen flattert eine Räumungsklage ins Haus. Zur Zeit werden nach Auskunft Thurmanns jede Woche fünf bis zehn Räumungsentscheidungen zugestellt.

kd

Für Initiativgruppen und eingetragene Vereine richtet der Magistrat im Roten Rathaus eine Beratungsstelle ein, die Förderinstrumente für die Sanierung entwickeln und über Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung beraten soll (Tel.: 2423305).