Hochstunde der Dummheit

■ Kleines Lehrstück aus der Tübinger Universität:

Was passiert, wenn ein Verhaltenswissenschaftler anfängt zu denken? Wir ahnen: nichts Gutes. Schon gar nicht in Tübingen, der Hochburg des Geistes. Denn hier dozieren nicht nur Walter Jens über Fußball und Hans Küng übers Zölibat. Hier lehrt auch ein Psychologe namens Niels Birbaumer. Seit fünfzehn Jahren übt dieser Mann die Kunst der Verhaltensmanipulation durch das sogenannte Biofeedback -Verfahren. Birbaumer ist ausgewiesener Experte im Messen von Pulsschlag und Hautwiderstand. Nun geht es ihm um mehr. Um nun zu klären, ob Intelligenz angeboren oder erworben, lud Birbaumer Anfang Juli ausgerechnet den berüchtigten Testpsychologen Hans-Jürgen Eysenck an sein Institut, welcher da behauptet, daß Neger sowieso dümmer sind und die Intelligenz vor allem in den Genen stecke. Ja, das hätte eine feine Diskussion werden können! Allein: Die studentische Fachschaft mochte nicht mittun beim wertfreien Diskurs. Die Veranstaltung wurde gesprengt, und Eysenck zog sich mit ein paar Getreuen in den Stadtpark zurück, um dort „plausible Argumente, eindeutige Forschungsergebnisse und überzeugendes Fakten- und Zahlenmaterial“ vorzutragen. So nannte das jedenfalls eine Leserbriefschreiberin aus der Birbaumer-Clique.

Ja, man ist tolerant in Tübingen! Kaum war das Gegröhle großdeutscher Fahnenschwenker während der Fußball-WM verklungen, hob neues Gegröhle an: Birbaumer persönlich verglich das Vorgehen seiner Studenten mit „Methoden des Terrors“ und „fratzenhafter Strategie“ (was immer das sein mag), er erinnerte mit historisch ausladender Gebärde an Mandela, Biermann und andere, die man auch zuerst niedergeschrieben habe, „um sie dann später einzusperren, zu foltern und schließlich umzubringen“. Mandela und Eysenck, Botha und die Fachschaft Psychologie: das ist irgendwie originell. Der Mann sollte auf vergleichende Politologie umsatteln. Auch und gerade in der „Hochstunde der Dummheit“, die Zeitzeuge Birbaumer abschließend beschwor.

Damit nicht genug: in den folgenden Tagen ließ Birbaumer etliche Schranzen aus seinem Institut zum Bleistift greifen, welche in Leserbriefen das hohe Gut der Meinungsfreiheit ausgerechnet dann gewahrt wissen wollen, wenn ein erklärter Rassist in den Räumen der Universität spricht. Bei anderer Gelegenheit war Birbaumer nicht so freiheitsliebend: vor Jahresfrist, als die Fachschaft im Rahmen der Vortragsreihe „Alle Macht den Genen“ einige linke Wissenschaftler zu Wort kommen lassen wollte, wußte er dies bei einer Abstimmung im Fakultätsrat zu verhindern. Dafür lädt er dann Rechtsradikale zum „harten Diskurs“.

Birbaumer aber hatte im aktuellen Konflikt nicht nur seine Studenten in bewährtem Vokabular als „hirnlos“ bezeichnet, sondern auch die Lokalzeitung 'Schwäbisches Tageblatt‘, welche für Eysenck wenig Sympathie bekundete, mit ähnlicher Schärfe angegriffen. Dieselbe Zeitung hatte in letzter Zeit ausführlich über das „Gräberfeld X“ auf dem Tübinger Stadtfriedhof berichtet, auf dem kürzlich einige Leichenpräparate von NS-Opfern bestattet wurden. Diese Präparate waren bis vor zwei Jahren noch in Forschung und Lehre verwendet worden, und das Anatomische Institut der Universität tat sich ziemlich schwer, sich ein Wort des Bedauerns über diese Geschmacklosigkeit abzuringen: „Schon heute aber steht fest“, ließ beispielsweise Professor Michael Arnold verlauten, „daß weder die Tübinger Anatomie als Fach noch die Universität eine Schuld auf sich geladen haben oder ins Zwielicht geraten sind: es hat uns nur unsere Vergangenheit eingeholt“.

Die Vergangenheit holte Tübingen dann endgültig in der Nacht zum vorletzten Sonntag ein: „Unbekannte Täter“ schändeten auf dem Tübinger Stadtfriedhof den Gedenkstein für die Opfer des Nationalsozialismus, sprühten Hakenkreuze auf Grabplatten und zertrümmerten eine erst vor wenigen Tagen aufgestellte Tafel, welche an die zu Anatomiematerial umfunktionierten NS-Opfer erinnern sollte. Die zu handgroßen Brocken zerhauenen Teile dieser Gedenktafel wurden sodann vor die Geschäftsstelle des 'Schwäbischen Tageblatts‘ gekippt, daneben prangte mannshoch die Parole „Rotfront verrecke“. Das lokalpolitische Geschrei war groß, alle sind tief betroffen. Aber noch im November letzten Jahres hatten die Lehrenden des Tübinger Anatomischen Instituts sich gegen Vorwürfe mit dem Argument gewehrt, unter den Anatomieleichen habe es auch Leute gegeben, die von NS-Sondergerichten als „Gewaltverbrecher“ verurteilt wurden.

Daß heutige Mediziner sich die Sichtweise von nationalsozialistischen Sondergerichten zu eigen machen, ist in Tübingen nicht unbedingt verwunderlich. Denn irgendwie ist das ja alles dasselbe: Eysenck und Mandela, Verhaltenstherapie und Meinungsfreiheit, „hirnlose“ Studenten und Apartheid-Regimes, Rechtsstaat und drittes Reich. Sieht sich alles unheimlich ähnlich. Kann man kaum unterscheiden. Man hat halt nur Medizin studiert. Oder Psychologie.

Christian Gampert