Lustvoll und atemlos

■ Jerome Savarys „Sommernachtstraum“ auf dem Theaterfestival in Avignon

Theseus, der Herrscher Athens, kommt als voluminöser Zigeunerbaron in den Steinbruch nahe Avignon. Und Hippolyta, die von ihm domestizierte Amazonenkönigin, ist Carmen. Sie hat etwas Wildes, das sich nicht fügen will, obwohl Theseus auch im Reich der Liebe gern Alleinherrscher wäre. Verwundern kann es nicht, daß der Hof zu Athen ein Zigeunerlager ist. Denn der Inszenator von Shakespeares Traumspiel über die Liebesverwirrungen im Zauberwald nahe Athen heißt Jerome Savary und ist einer der umstrittensten Regisseure Europas.

Da half nicht, daß Frankreichs Kulturminister Jack Lang ihn vor zwei Jahren zum Direktor des wichtigsten französischen Nationaltheaters in Paris machte. Er war zwar Chef von „Chaillot“, aber die Kritik handelte ihn immer noch als den Clown des europäischen Theaters. Und auch zum Festival nach Avignon - ein Traum für jeden französischen Regisseur - ist er dieses Jahr zum ersten Mal eingeladen worden. Er bedankte sich bei den Südfranzosen mit Flamenco und offeriert ihnen einen Sommernachtstraum, wie man ihn sich phantasievoller kaum vorstellen kann. Fast schon überbordend, lebt der Regisseur seine zirkusgeschulte Phantasie aus und beschert einen Augenschmaus.

Vor Jahren, als Peter Brook den Steinbruch bei Avignon für das Theaterfestival entdeckte und mit seinem inzwischen berühmten Mahabharata einweihte, genügte ein kleiner Tümpel als Szene, den Rest besorgten die Schauspieler sonst war nichts als Steinbruch. Wenn jetzt Titania erscheint, die Herrscherin im Feenwald, wächst sie wie eine Riesenlibelle über eine märchenhafte Miniaturlandschaft. Sie wird größer und größer und schwebt meterhoch über ihrem Gemahl Oberon. Der ist etwas heruntergekommen und kann die Zuneigung seiner Frau nur mittels faulem Zauber erringen: Er kennt sich in Liebeselexieren aus und stiftet damit reichlich Verwirrung. Es ist eindrucksvoll, wie Savary durch dieses Bild die Überlegenheit Titanias zeigt. Aber leider war er weniger am Text interessiert - wo Bilder doch vermeintlich alles sagen.

Savary verlegt die Verwirrung von Shakespeares Figuren in die Körpersprache seiner Schauspieler. Puck, Oberons Kurier und Gehilfe, führt das am deutlichsten vor, obwohl er durch falsche Auftragserledigung eher für Verwirrung sorgt, als daß er selbst verwirrt wäre. Maxime Lombard haspelt, zuckt, taucht in einem Teich ab und wird vom Regisseur mittels Pyrotechnik trickreich zu einem pfeilgeschwinden Boten, der überall auftauchen kann. Er ist einer von Savarys Paradekomödianten mit beeindruckender Körperbeherrschung und atemloser Sprache. Wie es sein kann, wenn Shakespeares Sommernachtstraum nicht nur mit komödiantischen Mitteln gegeben wird, zeigt Alain Tretout. Er ist der arme Zettel, der Handwerksbursche, der mit seiner Laienspielschar ein Minidrama für König Theseus Hochzeit einstudiert und von Oberon in einen Esel verwandelt wird. Savary hat in ihm einen Schauspieler, dem er viel abverlangen kann. Aber wenn Tretout sich dann mit Titania in einer großen Tulpe zum Liebesspiel niederläßt, ist dem Regisseur wieder nur eingefallen, die Feen und Elfen farbenprächtig tanzen zu lassen - eine atmosphärisch stimmige Märchenwelt, die im Verlaufe des Abends immer mehr zur Dekoration wird.

Von den beiden Pärchen aus athenischen Adelshäusern, die sich im Wald verirren und gegenseitig jagen, läßt sich ähnliches sagen. Savary hat sie mit viel Körpersprache inszeniert. Wenn Puck mit seinem Zaubersaft vollends Verwirrung gestiftet hat und die vier erschöpft einschlafen, bewegen sie sich sehnsuchtsvoll im Traum und führen aus, was wach nicht klappt. Und dann sind Lysander und Demetrius plötzlich beide wie zwei läufige Hunde hinter Helena her, von Puck verzaubert. Den eigentlichen Genuß an Shakespeares Sprache beschert nur Natacha Amal: die Helena. Wie sie sich wehrt und die Stimmungsumschwünge spielt, die Shakespeare der zuerst von allen Verschmähten in den Text schrieb, ist beeindruckend.

Jerome Savary hat es geschafft, den Steinbruch von Boulbon zu verwandeln. Selbst die Felswand spielt mit und kleidet sich mit unterschiedlichsten Mustern ein. Der Sommernachtstraum ist für eine Naturkulisse wie den Steinbruch geschaffen - wenn Shakespeares an die Sprache gebundene Phantasie nicht von Bildphantasien überlagert wird.

Das Traumspiel im Zauberwald balanciert auf dem schmalen Grad zwischen Lust- und Alptraum. Hierfür hat Jerome Savary es zu lustvoll inszeniert und den harten Kern verdeckt, der in ihm steckt.

Jürgen Berger