Intendanten-High-Noon

■ In Darmstadt gesucht, in Heidelberg umworben und in Mannheim zurückgetreten

Das Ende der Saison bringt dem Theater-Großraum von Darmstadt bis Heidelberg/Mannheim ein mittleres Intendantenbeben. In Darmstadt braucht man einen und will gleichzeitig den Schauspielchef loswerden, indem man mit dem Heildelberger Theaterchef liebäugelt. Und in Mannheim ist gerade der Intandent des Nationaltheaters, Arnold Petersen, zurückgetreten, während sich Schauspielchef Nicolas Brieger noch überlegt, ob er weitermacht.

Der Mannheimer Intendant will wegen interner Schwierigkeiten mit der Personalvertretung und fehlendem Geld aus dem Rathaus seinen bis 1995 laufenden Vertrag vorzeitig auflösen. Wenn er sagt, inzwischen bestimmten nicht mehr künstlerische Überlegungen, sondern finanzielle Zwänge die Arbeit am Nationaltheater, dann kann man ihn verstehen. Aber er sagt das in einer Kommune, die finanziell mit dem Rücken zur Wand steht, und da müßten Stadt und Theater sich eigentlich an einen Tisch setzen, um zu retten, was zu retten ist. Daß der erfahrene Intendant in solch einer Situation geht, verwundert genauso wie die Müdigkeit des neuen Schauspielchefs Nicolas Brieger nach gerade zwei Spielzeiten. Er formte ein gutes Ensemble, sein Spielplan blieb für Mannheimer Dimensionen aber recht farblos. Wenn er sich jetzt in Folge des Intendantenrücktritts mit Forderungen zu Wort meldet, dann wirkt das wie die Vorbereitung des eigenen Abschieds am Ende der nächsten Spielzeit.

Nicht minder turbulent geht es derweil in Darmstadt zu. Dort sucht man seit geraumer Zeit einen neuen Intendanten. Entschieden hat man sich noch nicht, obwohl schon seit Mitte Mai feststehen müßte, wer Nachfolger des nach Mainz wechselnden Peter Brenner wird. Inzwischen sind alle Fristen verstrichen, viele Namen waren im Gespräch und plötzlich steht Peter Stoltzenberg, der Theaterchef aus Heidelberg, im Mittelpunkt des Darmstädter Intendantenrouletts. Wie eine etwas schüchterne Jungfrau läßt er sich umwerben wahrscheinlich weiß er warum. Denn hinter den Darmstädter Avancen lauern kommunalpolitische Ränkespiele.

Peter Stoltzenberg ist ein Theatermann, dessen Vorliebe dem Schauspiel gilt, so daß sich sofort die Frage stellt, was er eigentlich in Darmstadt soll. Denn in Darmstadts Schauspiel gibt es mit Klaus Weise schon einen Chef und obendrein die Spielleiterin Lore Stefanek. Des Rätsels Lösung ist wie häufig in solchen Fällen nicht im Theater, sondern im Rathaus zu suchen. Dort meint man seit geraumer Zeit, mit dem Schauspiel unzufrieden sein zu müssen und wirft der Leitung vor, daß sie mit ihrem Spielplan die Zuschauer vertreibe. So recht ins Bild paßte da, was Oberbürgermeister Günther Metzger jüngst zu sehen bekam, als er sich dann doch einmal selbst ins Schaupiel begab: Lore Stefaneks Inszenierung von Lessings Miss Sara Samson, eine mutige und irritierende Annäherung an den Klassiker. Der Oberbürgermeister verließ wütend die Premiere und sprach vom desolaten Zustand des Schauspiels.

Er meint damit wohl die negative Zuschauerbilanz der abgelaufenen Saison mit einem Minus von sage und schreibe 35.000 Besuchern. Nicht zur Kenntnis nahm er dabei allerdings, daß im Schauspiel lediglich 4.000 Besucher ausblieben, während die Oper über 30.000 schwänzten. Aber Zahlen scheinen derzeit in Darmstadt nicht zu zählen, wurde doch der Kunstsinn des Oberbürgermeisters gekitzelt. Aus dem Rauthaus ist dazu nichts zu erfahren, da der Oberbürgermeister in wichtigen Besprechungen weilt. Und auch im Wiesbadener Kulturministerium, der obersten Dienstbehöre des Darmstädter Staatstheaters, gibt man sich eher wortkarg. Aber Dr.Herrmann Kleinstück, Staatssekretär und Vorsitzender der Intendanten-Findungskommission mag dann doch bestätigen, daß die Frage nach der Qualität des Schauspiels eine Rolle bei der Intendantensuche spiele.

Der Heidelberger Intendant bestätigt, daß bei ihm angefragt wurde. Seine Entscheidung macht Peter Stoltzenberg davon abhängig, ob sich in den derzeit laufenden Gesprächen „Grundvoraussetzungen klären lassen“. Ungeklärt ist, ob Heidelberg ihn aus seinem bis 1992 laufenden Vertrag vorzeitig entläßt. Daß er Heidelberg gerne verlassen würde, kann man verstehen. Denn seit dem Rücktritt des dortigen Oberbürgermeisters Reinhold Zundel hat sich auch für ihn die Situation grundlegend verändert. Die beiden waren ein Gespann, das sich gut verstand, und ob die Intendantengeschäfte für Peter Stoltzenberg unter veränderten kommunalpolitischen Vorzeichen weiterhin so gut laufen, ist fraglich. Hinzu kommt, daß er nun schon seit zwölf Jahren am Neckar ausharrt, wo den Intendanten auf ihrem Karrussel ansonsten doch wesentlich schneller schwindelig wird.

In Darmstadt hätte man gerne, daß Peter Stoltzenberg im Sommer nächsten Jahres kommt. Der aber läßt inzwischen über die Heidelberger Lokalpresse erklären, daß das so schnell auf keinen Fall gehe. Sollte er dennoch nach Darmstadt wechseln, dürften dort die Stunden von Klaus Weise und Lore Stefanek gezählt sein, womit ein interessanter Neuanfang abgebrochen wäre. Aber wer weiß? Inzwischen ist ja auch der Mannheimer Intendantenstuhl frei. Das müßte Stoltzenberg terminlich besser passen.

Jürgen Berger