Sommertheater

■ Das Bonner Staatsschauspiel als Vorbild der DDR-Koalitionäre

SOMMERSPALTE

De Maiziere spielt die Charakterfigur des prinzipienfesten Sturkopfs. Graf Lambsdorff, dem es schon fast die Sprache verschlagen hatte, übertrifft sich selbst. Thierse und Vogel erstarren in permanenter Drohgebärde. Ihre Auftritte wären nichts, hätte man nicht die Rolle der verzweifelten Mahnerin mit Antje Vollmer herausragend besetzt. Nicht zu vergessen die Überraschung des Abends: einfach fulminant, wie Oskar Lafontaine den Großen Schweiger auf die Bretter bringt. Wolfgang Ullmann ruft ein klares, festes „Nein“ durch die Kulissen. Im Orchestergraben dröhnt die Volkskammer. Das Sommertheater Bonn-Berlin ist ausverkauft. Klauseln und Wahlgebiete, Konfusion und Huckepackangebote beherrschen die Szene. Koalitionsbruch, rote Köpfe. Spießige Aktenköfferchen fliegen ins Publikum. Das einzig Senkrechte tut Helmut Kohl. Er hat sich in den Urlaub abgesetzt. Viel Spaß!

„Learning by doing“ ist eines der geflügelten Worte zwischen Rostock und Dresden. Und tatsächlich, es funktioniert. Die Politiker und Parlamentarierer der DDR lernen über Nacht, was es heißt, Politik als Ritual zu betreiben. Auf Dreierlei kommt es dabei an: Das Stück muß möglichst über einige Wochen in Folge gespielt werden können; die Bedeutung des gewählten Themas muß gering genug sein, um auf offener Szene und mit fast beliebigem Ergebnis verhackstückt zu werden. Wichtig ist, daß die Aufführung kostenneutral bleibt. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, geht alles seinen sommerlichen Gang.

Was sollten PolitikerInnen in der DDR auch anderes tun? Sie haben kein Budget, über das sie beschließen könnten, keine Währung, die sie zu hüten hätten - nichts. Was würde da eine Volkskammer bedeuten, die auseinanderrennt, eine Regierung de Maiziere, die platzt? Rein gar nichts. Und wäre es wirklich so schlimm, wenn die Zwei-plus-vier-Gespräche zu Eins-plus-Gesprächen würden? Bleibt also das beruhigende Gefühl von Normalität. Die „friedliche Revolution“ wird, wie der Name schon sagt, niemanden auffressen. Der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik wird das bewährte Alte stärken. Bis der letzte Kleintierzüchterverein (Ost) die Einigung vollzogen und die Satzung des Westvereins als die beste aller möglichen Satzungen anerkannt hat, werden wir noch manchen „historischen Augenblick“ erleben. Für den Fall aber, daß doch noch Kosten entstehen, braucht man eigentlich keinen Politiker. Dafür haben wir Karl-Otto Pöhl, der sagt uns schon, wann und wie die Zinsen erhöht, die Geldmenge begrenzt und die öffentlichen Haushalte reduziert werden. Bis dahin werden wir noch viel fun im gesamtdeutschen circus maximus haben.

Götz Aly