Johannisbeeren in Benzinsoße

■ Die Einwohner des Städtchens Werneuchen nordöstlich von Berlin wehren sich gegen sowjetische Tiefflieger und Kerosinpfützen / Ursachen für die Verseuchung unklar / Anhörungsrunde mit Sachverständigen und den Sowjets geplant

Aus Werneuchen Ute Scheub

„Den Fluglärm, den kann man nicht beschreiben, den muß man erleben“, sagt Werner Garbsch und rudert so hilflos mit den Händen in der Luft herum, als würde er selber gerade abstürzen. So wie die sowjetische Militärmaschine, die sich nach seiner Erinnerung „vor sechs, sieben, acht Jahren“ beim Landeanflug knapp 30 Kilometer nordöstlich von Berlin in den Boden des 3.000-Seelen-Städtchens Werneuchen grub. Werneuchen besitzt einen sowjetischen Militärflughafen und eine mittlerweile von der SPD beherrschte Stadtverwaltung, in deren Bürgermeisterzimmer der bärtige Mitvierziger Werner Garbsch die Hände ringt.

Man weiß es nicht: Ist es die braungelbe Farnmustertapete, eine bösartige Migräne oder die bevorstehenden Verhandlungen mit den Sowjets über die Reduzierung von Lärm und Dreck rund um den Flugplatz, die den Vollbart aussehen lassen wie das Leiden Christi? Denn daß letztere schwierig werden, hat eine am Montag von der Stadtverwaltung organisierte Anhörung erneut ergeben. Sie drehte sich weniger um die Tiefflieger, die dicht über die Dächer hinweg donnern, als mehr um die Verseuchung von Werneuchens Johannisbeerplantage durch Flugkerosin.

Ob einer der seit den sechziger Jahren bestehenden Erdtanks auf dem Militärgelände ausläuft oder „auch nur ein Schlauch undicht ist“ und das Zeug bis in die benachbarten Felder sickern läßt - weder der Bürgermeister noch die am Montag angehörte Expertenrunde kennt die genaue Ursache. In einer Bodenprobe aus dem Beerenacker, die die Kreisinspektion schon vor drei Wochen analysieren ließ, wurden satte 14 Gramm Kerosin pro Kilogramm gemessen, und am Montag sollten im Rahmen der Anhörung weitere Proben auf sowjetischem Hoheitsgebiet gezogen werden. Doch der Vertreter des sowjetischen Oberkommandos ließ entgegen seiner Zusage niemanden aufs Gelände - Staatsgeheimnis Gummischlauch? Nun sollen am Freitag, so handelte es die Anhörungsrunde aus, Vertreter des Umwelt- und des Außenministeriums der DDR als Vermittler anrücken und weitere Untersuchungen mit den Sowjets absprechen.

„Die Problematik ist sehr schwer zu behandeln“, sagt der Bürgermeister. Aber trotz des sichtlichen Gewichts der Welt von ganz Werneuchen auf seinen Schultern kann er der kürzlich entdeckten Umweltsauerei denn doch einen kleinen Trost abgewinnen: „Der Flugbetrieb ist seitdem einschränkt.“

Früher nämlich rasten die Nacht- und Tiefflug übenden Piloten immer dienstags, donnerstags und samstags über Dächer und Betten - nach den Berichten der Stadtbewohner „manchmal sogar bis um zwei Uhr morgens“. Dem einen Werneucher riß mal ein Seil, das aus einer MIG 25 hing, das halbe Dach weg, dem anderen rammelte eine Übungsgranate durch die Garage, „als die mal Ernstfall gespielt haben“. Im Mai unterschrieb rund die Hälfte der Einwohnerschaft einen Brief an Lothar de Maiziere, in dem die örtliche SPD den Abzug der sowjetischen Truppen verlangte. Das Problem könne leider nur im Rahmen der Wiener Abrüstungsverhandlungen und der Zwei-plus-vier-Gespräche gelöst werden, ließ der Ministerpräsident antworten. Doch nun scheint in Werneuchen ein seltsamer alchimistischer Prozeß die Dinge beschleunigt und verwandelt zu haben: Kerosin als Stoff, aus dem die ungestörten Träume sind. Oder war es die Strafanzeige des SPD-Landrates Dieter Friese gegen den sowjetischen Oberkommandierenden, die den Flugbetrieb minderte? Oder ist es etwa nur das Wetter?

Derweil schwappt das Kerosin in allen Farben schillernd und friedlich vor sich her stinkend in dem Loch, das die erste Bodenprobe auf dem Beerenacker hinterließ. Einige Schritte weiter, hinter einem rostigen Zaun, breitet sich verkrautet und armselig das sowjetische Militärterritorium aus. Zwei rußschwarze Schornsteine stechen in den nunmehr fast flugzeugfreien Himmel. Weiter weg verdichtet sich der Zaun zu einer grauen Mauer, hinter der die russischen Soldatenfamilien vor der DDR-Wirklichkeit versteckt wurden. Neben „Depesche Mode“ prangt dort auch schon die erste Parole „Russen raus!“ Aber es scheint zum Glück die einzige zu sein. „Die einzelnen Russen können doch nix dafür“, hört man nicht nur einmal in Werneuchen. Russenfeindlichkeit? „Nein“, sagt der problemgebeugte Bürgermeister, „das muß ich bisher verneinen.“