Die sündige Welt der Hardrocker

Fast die gesamte US-amerikanische Musikindustrie zittert vor einem einzigen Mann. Sein Name ist Jerry Carr Whitehead und sein Beruf Richter. Er leitet in Reno/Nevada den Prozeß gegen die englische Heavy-Metal-Kapelle „Judas Priest“. Die Rocker und ihre Plattenfirma CBS sind angeklagt auf der 1978 erschienenen Platte Stained Class unterschwellige Todesbotschaften versteckt zu haben. Zwei junge Fans hatten sich 1985 nach mehrmaligem Hören der Platte und dem exzessiven Genuß von Marihuana und Bier eine Ladung Schrot in den Schädel gejagt. Einer starb sofort, der andere erlag drei Jahre später seinen Verletzungen. Die Eltern der toten Rockfans haben die Musiker in

einem Zivilverfahren auf Schadenersatz in nicht festgelegter Höhe verklagt. In den USA können das mehrere Millionen Dollar sein. Die Erzieher und ihre Anwälte versuchen zu beweisen, daß die Textzeilen Leave this life with all its sin / It's not fit for living in den Hörern suggerieren soll, sie möchten doch bitte diese sündenbeladene Welt verlassen, und zwar subito. Denn zusätzlich sollen in dem Song, wenn auch fast unverständlich unter der Musik, die Wörter „Do it, do it“ zu hören sein. Die Schwermetaller bestreiten das. „Bis dieser Fall hochkam, habe ich nicht einmal gewußt, was unterschwellige Botschaften sind“, sagte Gitarrist K.K. Downing. Auch Anthony Pellicano, Spezialist für forensische Fragen im Bereich der Akustik, der schon während der Watergate-Affäre Tonbänder des Weißen Hauses analysiert hatte, hält das

alles für „Gewäsch“. „Was man nicht hören kann“, meint er, „das geht auch nicht ins Unterbewußtsein.“ Eine Psychologin will dagegen aussagen, daß die beiden Fans die Schrotflinte mit dem Ruf „Do it, do it“ abgefeuert hätten. Richter Whitehead hat bereits

vor Prozeßbeginn entschieden, daß unterbewußte Botschaften nicht unter die Redefreiheit fallen.

Das Verfahren trifft die Musikbranche an einer besonders empfindlichen Stelle. Gewinnen die Eltern der toten Fans, dann könnte es zu einer Flut ähnlicher Verfahren kommen. Außerdem könnte der Prozeß den USA eine neue Form von Zensur bescheren. Wenn der Richter die Auffassung der Eltern teilt, dann müßten Musiker und Plattenfirmen die Texte aller Songs künftig daraufhin abklopfen, ob sie nicht verborgene, dunkle Botschaften enthalten, die bei den Hörern unliebsame Reaktionen auslösen könnten. „Wenn diese Wahnsinnigen im Judas-Priest-Fall obsiegen“, meint Altrocker Frank Zappa, „dann brauchen Musiker künftig eine Kunstfehlerversicherung.“

Karl Wegmann