Blutopfer? Blutsbrüder?

■ „Ashes and Embers“ - ein afrikanisch-amerikanischer Spielfim im Haus der Kulturen der Welt

„Ich fühle intuitiv, daß der Neger als Soldat besser als der Weiße versteht, worum es im Krieg eigentlich geht.„

General William C. Westermoreland, U.S. Army, Saigon 196

Die Unschärfen in der Eingangssequenz haben nichts mit den designten Unschärfen neuerer Kriminalfilme gemein. Auch die Pistole im Genick wirkt dokumentarisch, weil die Zeit ganz langsam-undramatisch vergeht, wie alle Schrecksekunden. Ein Routinevorfall im nächtlichen Los Angeles, wo weiße Polizisten bei schwarzen Verkehrssündern halt ein bißchen fester, ein bißchen flinker zur Sache gehen. Man ist schon fast in die halb fiktive Welt innovativer Nachrichtenmagazine geschlittert, wenn die Titeleinblendungen auf den Spielfilmcharakter aufmerksam machen. Doch die Irritation wird nach dem vertraut -schriftlichen „who's who“ fortgesetzt: geographisch, historisch, narrativ, visuell.

Ned Charles (John Anderson) war im Vietnamkrieg und hat dort die Fähigkeit verloren, daheim in den USA ein fürsorgender Vater, liebender Ehemann und zuverlässiger Freund zu sein. Aber er hat überlebt und ist äußerlich unversehrt zu den Seinen zurückgekehrt. Trotz seiner schlimmen, alles und alle zerstörenden Kriegspsychose läßt ihn niemand fallen. Seine Freunde nicht, die mit Geduld seine Anfälle über sich ergehen lassen und dann ruhig das Gespräch fortsetzen, seine Frau nicht, deren Hilfe bei ihm immer gemeinere, aggressivere Reaktionen hervorruft: „Ihr Scheiß Bücherleser!“ Doch schließlich gelingt es seiner Großmutter, der Schlüsselfigur des Films, ihn zu heilen, indem sie seinem Leid und seinen Erfahrungen die private Enge und Sinnlosigkeit nimmt und in einen größeren, historischen Kontext stellt.

Wäre Ashes and Embers ein amerikanischer Film, würde diese Geschichte über den verlorenen Sohn und seine Rückkehr zur Familie mit klassischen Identifikationsangeboten für Zuschauer aller Altersstufen erzählt. Aber es ist ein afrikanisch-amerikanischer Film, und deswe gen verweist das Schicksal von Ned Charles in jeder Szene auf etwas Überindividuelles, auf den Mythos von „Asche und Glut„; also auf die Geschichte der amerikanischen Schwarzen, die nach Niederlagen im Kampf um Gleichberechtigung immer wieder Opfer forderte. Relativ zur Gesamtbevölkerung wurden sehr viel mehr schwarze als weiße Soldaten nach Vietnam geschickt. Sie nannten sich „bloods“ ...

Der äthiopische Regisseur Haile Gerima läßt Ashes and Embers in Washington, dem Ort, wo das weiße Amerika seine imposantesten Monumente hingesetzt hat, und dem Archiv seiner lebendigen Geschichtsschreibung, Hollywood, gleichzeitig spielen. Vietnam schafft die symbolische Verbindung, genauso wie sich zwischen Stadt und Land, Gegenwart und stets präsenter Geschichte eigentümliche Achsen entdecken lassen. Wenn Ned zum Beispiel am Rande eines Highways entlang wandert und plötzlich alles so natürlich und vegetativ aussieht, weil die Kamera das Gehen aus afrikanischen Filmen zitiert, das soviel wichtiger ist als das Ankommen am Finale. Das Schauspiel wechselt häufig zwischen Kargheit und expressionistischer Theatralik und entspricht dabei dem sehr experimentierfreudigen Stil der Fotografie und Montage. „Jump cuts“, Blitzer von Rollenenden und Flashbacks sind dramaturgisch gut und unpädagogisch eingesetzt; einzelne Bilder wurden „falsch herum„/innovativ zusammengeklebt. „Ich halte den Film, so wie er heute von Europäern und Nordamerikanern beherrscht wird, für langweilig. Von meiner Warte aus gesehen kann der Film mehr: Er kann die geistige und visionäre Kraft der Menschen wieder verjüngen.“ (Haile Gerima, 1982).

Während in Ashes and Embers zunächst eine wirklich beeindruckende Darstellung der Unmöglichkeit einer „gesunden“ Rückkehr aus dem Krieg gelingt, wird das Unterfangen im letzten Drittel des Filmes fragwürdig und geradezu nervenaufreibend. Wenn Gerima zum Beispiel zwischen der Biographie eines schwarzen Vietnamkriegsveteranen und dem Black-Panther-Führer Malcom X. - sein Porträt wird mehrmals eingeblendet Verbindungslinien zieht, dann wird man hellhörig und ver langt nach Differenzierungen. Wer kämpfte wofür? Eine Antwort auf diese Frage verbietet es eigentlich, die schwarzen Kriegsveteranen als „voll gleichberechtigte Söhne“ der radikalen schwarzen Bürgerrechtler zu verstehen. Das allerdings scheint der tiefere Sinn der prophetischen Worte von Neds Großmutter zu sein, die sie sehr, sehr oft wiederholt. Sie sitzt währenddessen in einer Hollywoodschaukel, deren penetrantes Quietschen ihre letzten Sätze transzendieren soll, aber dann doch eher für Erleichterung sorgt, wenn das Licht angeht.

Dorothee Wenner

Ashes and Embers von Haile Gerima. OmU, USA 1982. Do., 28.7. und Fr., 29.7. jeweils um 19 Uhr 30 im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles -Allee, Berlin 21.