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Realkunst und Radikalkunst

■ „Eisenskulptur aus Spanien“ im Haus am Waldsee

Vor dem Haus am Waldsee steht eine Raumzeichnung aus fingerdicken Eisenstäben. Klare, serielle Form. Rostpatiniert. Ein Produkt des Industriedesigns. Die formale Anordnung ist von ihrer Zweckmäßigkeit nicht zu trennen: ein klassischer Fahrradständer in unlimitierter Auflage. Minimalistische Arbeiten könnten in diesem Objekt einen Vorläufer erkennen. Lapidar einfache Grundstruktur, symmetrische Ordnung, Spannung zwischen hartem rechtem Winkel und weichen gebogenen Streben folgen einer Ästhetik mathematischer Gesetzmäßigkeit: je einfacher, desto eleganter - wie eine Gleichung. Schönheit ist Folge der Eleganz, die die Richtigkeit der Formel ausdrückt. Der umspannte Raum skizziert ein Innen. Er kann als geschlossen bezeichnet werden und ist gleichzeitig nach außen offen. Beides ist notwendig, um den Zweck zu erfüllen. Die Anordnung ist abstrakt und als dreidimensionales Gebilde auf minimale Eigenschaften reduziert. Und es hat - was Objekte in Kunsträumen selten haben - einen wiedererkennbaren Namen, der nur auf Nützlichkeit verweist.

Im Inneren des Hauses stehen Objekte, von denen nicht umstandslos gesagt werden kann, was sie sind, und deren Namen eher einen Assoziationsradius beschreiben, keinen festgelegten Verwendungszusammenhang. Dennoch geht es in dieser Ausstellung spanischer Eisenskulpturen weniger um eine Wahrnehmungsveränderung oder ein anderes Sehen - das gehört zum Alltag - als vielmehr um die Dokumentation einer Tradition innerhalb der Kunst Spaniens. Sie wurde mit Gaudi zu Anfang des Jahrhunderts eröffnet und beeinflußte ganz Europa. In den sechziger Jahren waren vier Fünftel der zeitgenössischen Skulpturen aus Metall.

Das martialische Material begann mit Gaudis wuchernd vegetabilen Eisengittern künstlerisch ernst genommen zu werden. Und so münden kunstgeschichtliche Exkursionen immer wieder in Gaudis Jugendstilarabesken. Susana Solano bezieht sich auf Chillada, Chillada auf Gonzalez, Gonzalez auf Gargallo und der auf Gaudi. Plensa bezieht sich unvermittelt auf Gaudis biomorphe Formen. Und die jüngste Generation respektiert Chillada, indem sie ihn meidet, sich an Oteizas raumerschließenden, geometrischen Formen orientiert und die Innovationen der Minimal art aktiviert. So gibt es ein Netz von Beziehungen und Korrespondenzen mit zentralen Künstlern, die über die politischen Zäsuren hinweg Einheit stiften. Damit ist eine gewisse Enge und Inzüchtigkeit vorgegeben. Aber Kenner können den Anspielungsreichtum und die kryptischen Zitate ebenso schätzen wie die Befreiungsakte von jüngeren KünstlerInnen wie Badiola, Irazu und Solano.

Susana Solano scheint exemplarisch für die Emanzipation innerhalb der Tradition. Sie ist - obschon mit Chillada der Star dieser Aus stellung - mit nur einem Werk vertreten. Aber mit ihrem Werk ließe sich repräsentativ zeigen, wie in einem traditionellen Kunstkontext eine konsequente Entwicklung zu eigenständigen Formen möglich ist. In den achtziger Jahren schulte sie sich an Brancusi, indem sie eine seiner seriellen Arbeiten wiederholte und sich aneignete. Dann goß sie raumgreifende Ringe, die zeigen, was sie Chillada verdankt: der Entwurf einer abstrakten Form, die gleichzeitig eine Wiedererkennbarkeit evoziert. Seither schweißt sie Eisenplatten zu wuchtigen Raumkörpern zusammen und ist mit niemandem mehr zu verwechseln. Die installierte Arbeit (Pervigiles Propinae) suggeriert viel, bestimmt nichts definitiv und ist in diesem Sinne die Definition eines auratischen Blocks. Kein Rätsel, denn es gibt keine Lösung. Keine beliebige Projektionsfläche, denn sie hat eine präzise formale Anordnung. Sie ist strenggenommen auch kein Objekt, das von der Wahrnehmung des Sehenden abhängig ist. Sie verändert den Raum, in dem sie steht, einfach durch ihr Vorhandensein.

Um ähnliche Wirkungsweisen, aber mit anderen Formen geht es Txonin Badiola, der, wie er sagt, keine Bilder, sondern Prozesse in Gang setzen will, die Bedeutungen schaffen. Seine Skulpturen sind Konstruktionsverläufe. Die Bezüge stellen sich innerhalb der Struktur über den Kunstkontext her, und gegenüber den BetrachterInnen ist es - gemäß der Sehweise der Minimal art - der Bezug auf die Wirklichkeit der Skulptur selbst, ihre materiale Konstruktion, die auf kein Außen verweist und als autonome Wirklichkeit erkannt werden will.

Dies gilt ebenso für Pella Irazu, der mit Badiola das Atelier teilt. Auch er legt den Akzent auf Konstruktion und arbeitet nicht mehr wie Chillada mit Hammer, Amboß und Feuer, sondern mit vorgefertigten Eisenplatten der Industrie. Beide löten und schweißen geometrische Formen zu Gebilden zusammen, die durch die Wiederholung von Quadraten, Rechtecken, Kuben einen Rhythmus angeben. Sie sind - und dies verbindet sie doch mit Chillada - architekturale Bildhauer, weil sie die Raumkonstitution und das, was einem Raum eine Umgebung gibt, zur Darstellung bringen.

Am deutlichsten ist dies in Eduardo Chilladas Elogio a arquitectura, die im Garten des Hauses steht. Es ist ein architektonisches Modell - so unbeschreibbar wie präzise konstruiert: eine multiple Raumordnung. Jede Standortveränderung der BetrachterInnen bewirkt eine Veränderung des Objekts. Jeder Aspekt vervollständigt das Objekt, erfaßt es genauer. Es ist als Modell eines Gebäudes ebenso vorstellbar wie als Gebilde, das sich selbst genügt. Es ist weder auf Geometrie zu reduzieren noch auf die Sinneseindrücke des Betrachters. Die Rigorosität in der Konstruktion und der erkennbare Wille in der Form ist mehr, als zu sehen ist; nie ist das Ganze zu sehen, und der Wind weht durch die Aufbrüche. Es ist auch mehr, als nach den Gesetzen der Vernunft zu denken ist; unmöglich, die skulpturale Ordnung in einem Sinn zu stabilisieren. Chillada, der nach einem Architekturstudium sogar zu zeichnen begann und Skulpturen entwarf, hat in diesem Modell die Wechselbeziehung zwischen Form und Raum zur Geltung gebracht und sich weder zugunsten des Raums noch der Form entschieden, sondern beide getrennt und ineinander dargestellt.

Vielleicht, schreibt Pellicer über die fingerdicken Raumzeichnungen aus Eisen von Alfaro, vielleicht veranlassen die Skulpturen den Liebenden, seine Geliebte noch inniger zu lieben, den Studierenden, noch versessener zu studieren. Ein Gedanke, der einem bei Realkunst, und sei sie auch so elegant wie ein klassischer Fahrradständer, nicht einfällt. Diese Gedanken sind der Radikalkunst vorbehalten.

Peter Herbstreuth

Eisenskulptur aus Spanien. Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, Berlin 37. Bis 26. August Di. bis So. von 10 bis 18 Uhr.

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