Das ultimative Testlevel für Eltern

■ Ein Interview mit John Waters, dem Regisseur von „Cry Baby“

Von Birgit Heidsiek

Der König des schlechten Geschmacks: Divine, den Transvestiten-Star seiner Filme, ließ er in „Polyester“ Hundescheiße essen und verteilte dazu passende Rubbel-und -Riech-Odorama-Karten. Schon mit „Female Trouble“ und „Pink Flamingo“ hatte er die Zuschauer schockiert. Mit seiner schrillen Komödie „Hairspray“ gelang ihm der kommerzielle Durchbruch. Heute läuft sein neuer Film an: „Cry Baby“.

taz: In „Cry Baby“ geht es um Squares und Drapes in Baltimore. Was waren das für Leute?

John Waters: Squares, das sind die Yuppies von damals, Drapes wären heute vielleicht weiße Hip-Hopper.

Wären Sie auch gerne ein Drape gewesen?

Ich erinnere mich gut an diese Kids, aber ich war keiner von ihnen, ich war damals erst acht Jahre alt. Ich beobachtete sie und wünschte, einer von ihnen zu sein, ich war ein Sympathisant.

Ich weiß noch, wie damals eine Familie zu uns in die Clock Avenue zog und alle Nachbarn sagten: „Oh Gott, jetzt zieht der Trash bei uns ein.“ Ich benutzte diese Familie oft; die Mutter war eine religiöse Fanatikerin, der Sohn war ein Drape, sein Auto sah genauso aus wie das von Johnny Depp im Film. Seine Schwester trug spitze Büstenhalter im Hollywood -Format und spielte Strip-Poker.

Haben Sie diese Leute näher kennengelernt?

Ich freundete mich mit dem jüngsten Sohn der Familie an, der in meinem Alter war. So konnte ich zu ihnen nach Hause und mir dabei die ganze Familie anschauen. Aber ich glaube, die älteren Geschwister wußten, daß ich ein Fan von ihnen war. Sie merkten, daß ich sie beobachtete, und vielleicht gefiel ihnen das, denn sie setzten immer noch einen drauf.

Wollten Sie denn gerne dazugehören?

Nein, ich wollte sie nur beobachten, denn sie interessierten mich, weil sie so extrem waren. Die Charaktere wurden durch mein Zuschauen immer schlimmer. Ich mache das heute übrigens noch so. Ich weiß nicht, ob ich sie eigentlich liebe oder hasse, jedenfalls langweilen sie mich nicht.

Geht es Ihnen so ähnlich wie der Allison im Film, die sich auch für einen Drape interessiert?

Ich wäre mehr 'rangegangen als Allison. Ich wäre bestimmt nicht so unschuldig geblieben.

Wer ist denn Ihrer Meinung nach heute ein Drape oder ein Square?

Also, Jack Nicholson ist ein angesagter Yuppie, Marlon Brando definitiv ein Drape.

Zsa Zsa Gabor ist meiner Meinung dazu geboren, die Drape -Queen zu spielen, aber sie hat einen so schlechten Geschmack, daß ich nicht mit ihr arbeiten würde, scheußliche Kleider.

Und was ist mit den Deutschen?

Fassbinder und die meisten seiner Darsteller waren Drapes.

War es schwierig, die passende Besetzung für „Cry Baby“ zu finden? Wie kamen Sie auf Johnny Depp?

Ich kaufte mir diese ganzen Teenie-Magazine 'Tutti Frutti‘, 'Young But Ill‘ etc. und gab fünfzig Dollar nur für diese Hefte aus. Das ist schon peinlich für einen 45jährigen. Ich hatte Angst, mir die Kids näher anzuschauen, die dann schreien: „Der Mann mit dem Schnurrbart starrt mich an.“

Johnny war überall auf der Titelseite, und ich wußte, das ist der Richtige. Das war der erste Schritt. Dann erfuhr ich von William Dafoe, der mit ihm in „Platoon“ zusammengearbeitet hatte, daß er ein guter Schauspieler ist. Ich sprach auch mit meinem Produzenten, der mit ihm beim ersten „Nightmare on Elmsstreet“ zusammengearbeitet hatte. Dann traf ich Johnny Depp und wir verstanden uns auf Anhieb. Wir waren gleich auf einer Wellenlänge, und er hatte keine Probleme damit, sich über sich selbst lustig zu machen und sein Image als Teenie-Idol hochzunehmen.

Wollen Sie auch in Zukunft weiter Teenie-Filme drehen?

Ich werde als nächstens einen Film machen, der in der heutigen Zeit spielt, nicht nur über Teenager. Aber ich werde wieder eine Komödie machen und sicher Teenager darin haben, weil meine Filme von Familien handeln. Teenager machen oft die ganze Familie verrückt, sie schlagen über die Stränge und stellen eine Familie so immer wieder auf die Probe. Ich werde nie einen ernsten Film drehen und keinen politischen oder gar einen über den Kampf von Jesus.

Wie schon „Hairspray“ haben Sie auch „Cry Baby“ in Baltimore gedreht. Kriegen wir demnächst noch mehr von Ihrer Heimatstadt zu sehen?

Die Stadt gefällt mir, und mein Produzent würde mir das niemals ausschlagen. Es ist billiger, dort zu arbeiten, und die Statisten wirken viel echter, weil es Originale sind.

Was hat Sie dazu veranlaßt, Filme zu machen?

Als ich fünf Jahre alt war und das Fernsehen gerade begann, schaute ich mir immer eine Show für Kinder an. Ich war davon so begeistert, daß mich meine Eltern mit nach New York in die NBC-Studios nahmen. Das hat mich völlig desillusioniert. Es gab dort noch nicht mal eine richtige Bühne, alles war nur Show. Doch über den Bildschirm sah alles so lebendig aus, das gefiel mir, und ich beschloß, auch so etwas zu machen.

Wann sind Sie ins Filmgeschäft eingestiegen?

Ich lese die 'Variety‘, seitdem ich dreizehn bin. Ich habe mir immer die Anzeigen der scheußlichsten Filme angeschaut. Ich tat so, als hätte ich ein eigenes Kino und ließ mir von den Verleihern Werbematerial schicken. Das habe ich selbst noch schlimmer verfremdet und damit in der Nachbarschaft Werbung für die scheußlichsten Filme gemacht.

Wie kommen Sie mit Hollywood klar?

Ich hatte nie Probleme mit Hollywood. Die Universal-Studios haben die Verkaufsstrategie für „Hairspray“ ausgearbeitet. Ich hatte nie Test-Screenings. Es ist schwierig, mit diesem System in Hollywood auszukommen; mit all den Leuten, die einem reinreden wollen. Aber wenn die einen John Waters-Film wollen, und zwar den besten, müssen sie Rücksicht nehmen und sich auf meinen Stil einlassen.

Das Lächerlichste war, daß sie mit einem Rattentrainer ankamen. Ich hatte in all meinen Filmen Ratten drin und werde wohl noch 'ne Ratte führen können.

Wie sah die Finanzierung von „Cry Baby“ aus?

Nach „Hairspray“ war alles ganz einfach, da rissen sich die Studios um mich. Erfolg heißt Macht in Hollywood. Paramount hat das Drehbuch finanziert. Als sie das Buch gelesen hatten, waren sie nicht mehr interessiert, sie hatten Angst vor einem Flop. Das Projekt wurde den anderen Studios zum Verkauf angeboten. Vier Studios wollten das Buch haben. Es ist das erste Mal, daß alles so professionell gelaufen ist. Sonst habe ich mir das Geld immer bei reichen Leuten geholt, die zuviel Kokain schnupfen.

Nehmen Sie Drogen?

Nein. In den sechziger Jahren haben die Kids Drogen zur Bewußtseinserweiterung genommen, heutzutage machen sie das einfach nur, um sich dicht zu machen. Drogen sind ein Teufelskreis. Wenn ich ein Kind hätte, das Drogen nimmt, würde ich die Krise kriegen. Aber ich könnte es ihm nicht verbieten. Das heißt nicht, daß ich für Drogen bin. Ich kenne viele Leute, die sich damit ihr Leben ruiniert haben.

Mit einigen Darstellern und Team-Mitarbeitern machen Sie jeden Film zusammen. Haben Sie beim Dreh von „Cry Baby“ jemanden gefunden, den Sie in Zukunft dabei haben wollen?

Jedesmal, wenn ich einen Film mache, finde ich neue Leute; wir sind wie eine fruchtbare Familie, die immer größer wird. Van Smith, mein Stylist für Garderobe und Make-up, war immer dabei, er hat Divine kreiert. Ich arbeite auch immer mit Pat Moran, die das Casting macht, und der Hairdresserin Christine Mason zusammen. Mit ihnen ist das so einfach, weil sie immer genau wissen, was wir machen, wenn wir zusammnen arbeiten. Wir gehen die Bewegungen durch, schauen gemeinsam über das Storyboard. Alle achten darauf, daß sich nicht etwas mit dem ähnelt, was wir schon gemacht haben.

Was ist eine gute Familie für Sie?

Ich bin überzeugt davon, daß das Gegenteil einer Idealvorstellung häufig viel wahrer ist, als das gesellschaftliche Ideal, das viele verfolgen. Es ist interessant, Leute mit ihren Eltern zu treffen. Ich vertraue keinen Leuten, die sich anders verhalten, wenn sie mit ihren Eltern zusammen sind. Viele verhalten sich anders, sie wirken verängstigt. Man muß seine Eltern erziehen, manche Leute tun das nicht.

Was sind für Sie liberale Eltern?

Die Eltern von Divine. Wie kann man nur so liberal sein, seinen Sohn in Frauenkleidern Hundescheiße essen zu sehen, und das auch noch okay finden. Das ist wirklich das ultimative Testlevel für Eltern.

Warum bringen Sie Leute gerne zum Lachen?

Wenn man jemanden zum Lachen bringt, kann man ihn für sich gewinnen, sogar, wenn er einen haßt. Lachen ist auch ein Schutz, durch den sich viele Leute gleichzeitig demaskieren. Wenn man ganz nah an Leute herantritt, fangen manche plötzlich an zu lachen.

Lachen kann auch eine Waffe sein, mit der man jemanden angreift. Es tut mehr weh, ausgelacht als geschlagen zu werden. Ein Schlag schmerzt nicht lange, aber so ein Lachen, das hallt Ewigkeiten nach.