Genossen in der Schwebe

■ Der Regierungsaustritt der Liberalen und der Entscheidungsdruck der SPD

KOMMENTARE

Die Ostberliner Liberalen haben schnell, sprich clever reagiert. Ihr Ausstieg aus der Regierungskoalition läßt sich als konsequente Antwort auf die unnachgiebige Haltung de Maizieres im Wahlrechtspoker verkaufen, ohne daß sie die Verantwortung für das mögliche Scheitern der Regierung tragen müssen. Denn an deren satter parlamentarischer Mehrheit ändert der Ausstieg der Liberalen nichts. Deshalb hat der Bund Freier Demokraten seinen Abgang nicht zusammen mit den Sozialdemokraten inszeniert. Man profiliert sich also nicht nur gegenüber der Union, sondern auch auf Kosten der zögernden SPD. Ein Kalkül ganz nach Lambsdorffs Geschmack, an dessen Federführung nach den schneidenden Interviews der letzten Tage kein Zweifel besteht. Er hat seine Ostberliner Partner auf Widerspenstigkeit getrimmt, um damit der erfolgsbesoffenen Union zu signalisieren, daß die FDP in der gesamtdeutschen Ära nicht zwangsläufig auf das Bündnis mit den Konservativen angewiesen bleibt.

Die Ostberliner Union muß das - noch nicht - tangieren. Zwar riskiert de Maiziere mit seiner Halsstarrigkeit in Sachen Wahlrecht massiven Ansehensverlust, doch die dominante Position der CDU bleibt selbst dann erhalten, wenn die SPD den Liberalen in den nächsten Tagen folgt. Am Argument des Regierungschefs, niemand könne sich eine Torpedierung der noch ausstehenden Einheits-Entscheidungen leisten, kommen auch die abtrünnigen Regierungspartner nicht vorbei. Schon gar nicht die SPD, der die Liberalen jetzt den Schwarzen Peter zugeschoben haben. Zweifellos ist die Verführung für die Genossen groß, nach den wochenlangen Spekulationen um Koalitionsbruch und Wahlaussichten die wohl letzte spektakuläre Profilierungs-Chance zu nutzen.

Doch insgeheim wissen die Sozialdemokraten, daß ihnen die markige Geste nichts nutzt, wenn sie sich mit der Drohung, als Einheitsfeinde abgestempelt zu werden, am Ende wieder zur Räson bringen lassen. Gerade weil die Sozialdemokraten im Zweifelsfall ohnehin einheitskonform stimmen werden, ist nicht einzusehen, warum der immer wieder betonte Mitgestaltungsanspruch jetzt zur Disposition steht. Schlüssiger wäre, wenn die SPD den Gestaltungsanspruch, mit dem die Regierungsbeteiligung nach dem 18. März in den Parteigremien durchgedrückt wurde, endlich einlösen würde. Der Koalitionsbruch an der Wahlrechtsfrage hingegen scheint ungeeignet, die parteiintern beklagten Profilierungs -Defizite zu kompensieren. Denn den Vorwurf, zur Konsequenz nur fähig zu sein, wenn es um Parteiinteressen geht, könnten die Sozialdemokraten nur schwer entkräften.

Matthias Geis