: Ost-CDU und West-SPD nähern sich an
■ Einheitliches Wahlgebiet und die Senkung der Sperrklausel als Auffanglinie für Regierungskrise / De Maiziere schlägt ein Treffen mit Verfassungsrechtlern vor / Besuch bei Kanzler Kohl abgesagt
Aus Berlin Petra Bornhöft
Scheinbar unbeeindruckt vom Austritt der Liberalen aus der Regierungskoalition verlief gestern die Kabinettssitzung in Ost-Berlin. Regierungssprecher Mathias Gehler danach poetisch: „Das Regierungsschiff hat ruhigen Kurs gehalten und sich nicht von den Unwettern draußen beeinflussen lassen.“ Inhaltlich bewegten sich Ministerpräsident de Maiziere und seine Partei vorsichtig, aber deutlich auf die SPD zu. Die Kompromißlinie deutet sich an: einheitliches Wahlgebiet und Senkung der Sperrklausel auf drei Prozent. CDU-Regierungschef Lothar de Maiziere schlug außerdem ein Treffen der Parteispitzen mit Verfassungsrechtlern vor, bei dem am Freitag über die strittigen Fragen des DDR-Beitritts zur BRD und des Modus‘ für die gesamtdeutschen Wahlen geredet werden soll.
Dazu fiel den sozialdemokratischen MinisterInnen im Kabinett offenbar wenig ein. Gehler: „Sie haben Sätze von sich gegeben, aber nicht gegen die Meinung des Ministerpräsidenten gestanden.“ Bekanntlich haben die Sozialdemokraten ihre Entscheidung über ihre Zukunft in der Koalition auf Freitag verschoben. Sie verlangen ein Entgegenkommen der CDU in der heutigen Sitzung der Bonner und Ostberliner Ausschüsse „Deutsche Einheit“.
Auch de Maiziere deutete gestern in Wien einen Kompromiß an. Er könne sich die Schaffung eines einheitlichen Wahlgebietes vorstellen, sagte de Maiziere. Allerdings müsse in diesem Fall die Sperrklausel von gegenwärtig fünf Prozent gesenkt werden. Für die West-SPD schwenkte die stellvertretende Parteivorsitzende Hertha Däubler-Gmelin die weiße Fahne: Die SPD sei bei einer gesamtdeutschen Wahl zur Senkung der Fünf-Prozent-Klausel bereit. Unverzichtbar bleibe für sie ein einheitliches Wahlgebiet und ein einheitliches Wahlrecht.
Falls dieser Deal dennoch platzen sollte und de Maiziere die Parlamentsmehrheit verlöre, gilt nach den Worten Gehlers: „In der Volkskammer werden sich die Parteien nicht bei den Gesetzen enthalten, bei denen es um die deutsche Einheit geht.“ Deshalb lasse sich der Ministerpräsident „nicht nötigen oder drohen, er will reden“.
Reden will de Maiziere auch mit den beiden Liberalen -Ministern, um sie im Kabinett zu halten. Bauminister Preiss stellte sein Amt gestern zur Verfügung. Regionalminister Viehweger - beide waren aus „Termingründen“ nicht zur Sitzung erschienen - schwieg. Auf keinen Fall wolle de Maiziere „ein unsinniges Kaderkarussell in Bewegung setzen, das auch die Staatssekretäre mit einschlösse“, sagte Gehler.
Keine Lust auf einen Besuch am Wolfgangsee hatte offebar de Maiziere. Das ursprünglich geplante Treffen mit Helmut Kohl in Österreich sagte er ab, nachdem er den Bundeskanzler über die Regierungskrise telefonisch, telegrafisch oder telepathisch - Gehler wollte sich trotz bohrendster Fragen nicht festlegen lassen - informiert hatte.
Sollte der sich abzeichnende Kompromiß Bestand haben, wären die Liberalen in Ost und West, Punktsieger des Vortages, die Gelackmeierten. Sie drehten gestern durch. So keifte der stellvertretende FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms, de Maiziere habe mit der PDS kollaboriert (siehe „Gurke des Tages“, Seite 7). Darüberhinaus sei nachweisbar, daß Sonntag nacht in der namentlichen, entscheidenden Abstimmung über den CDU-Antrag „die PDS mit der SPD und nicht mit der CDU gestimmt hat“.
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