Erlebnismarkt schlägt HO k.o.

■ Kaufrausch in Pankows Kaufhalle / Kaum DDR-Produkte / Kleiderordnung für Lebensmittel gefordert

Pankow. Bunt ist sie, die alte Kaufhalle in Pankows Mitte. Wo früher schlicht die Verteilung von „Waren des täglichen Bedarfs“ gegen eher symbolischen Tauschwert ablief, steht nun ein „Erlebnismarkt“. So jedenfalls heißt im Marketing -Deutsch die Vermischung von Konsum und Rausch. Ein potenter Partner hat sich zum HO Pankow gesellt, 30 Prozent des Grundkapitals hält neuerdings die westdeutsche „Spar“.

Und deren Signet prangt nun unübersehbar an dem Flachbau, um das sich den ganzen Tag schon eine lange Schlange windet. Mit bestellter Volksfeststimmung werden die Käufermassen angesogen, Würstchenstände qualmen, in der Luft Schlagermusik. Eine pensionierte Drogistin: „Sieht freundlich aus. Es stinkt hier jetzt nicht mehr so wie vorher.“ „Vorher“ ist elf Tage her, so schnell kann man mit einer Millionen DM und „Einbeziehung und Engagement der Werktätigen“ die westliche Plastikwelt aufbauen. Eben alles aus Pappe.

Vor dem Laden stehen zwei Rentner und rechnen nachdenklich: „Können wir uns noch was leisten?“ Bei 527 DM Rente schütteln beide den Kopf und gehen weiter. Die Kauffreude vieler Menschen ist seit Anfang Juli bedächtiger Marktbeobachtung gewichen: „Wir müssen am Monatsende erst mal sehen, was überbleibt“, so eine Mutter von zwei Kindern.

Der Mark(t)schock hat bekanntermaßen genauso die inländischen Produzenten getroffen. Von Lastwagen herunter versuchen Brandenburger Bauern auch in Pankow ihre Radieschen loszuwerden. Von der „katastrophalen Struktur“ des DDR-Vertriebsnetzes spricht der Bundesvertriebsleiter von „Spar“: „Ich sage nur: die Lager - fünf Etagen, ein Fahrstuhl.“ Da schütteln sie alle lächelnd den Kopf, jene zur Eröffnung angereisten Logistiker des Branchenriesen West (10 Prozent Marktanteil). „Nachts, mit Armeelastwagen und unermüdlichem Einsatz aller Mitarbeiter“ wurden die Waren umgeschlagen und geliefert, berichtet Stefan Fritsch, Ex-HO -Direktor, jetzt „HOSPAR„-Marktleiter.

Im Westen starben die Tante-Emma-Läden Anfang der siebziger Jahre, und auch in Ost-Berlin werden sie bald der Vergangenheit angehören: jene „Kleinverkaufsflächen“ - auch sie zwar früher unter dem HO-Monopoldach, jedoch dezentral verteilt. Marktstudien geben ihnen keine Chance zum Überleben. Die Verdreifachung der Verkaufsfläche - soviel fehlt noch zum „Westniveau“ - wird über Supermärkte laufen.

Nur 30 Prozent der Artikel in der Pankower Kooperationskaufhalle stammen aus dem Land, in dem sie angeboten werden - weltweit derzeit wohl einmalig. „Wir sind bemüht, den Anteil zu halten“, sagt Fritsches Mitleiterin, Gerlinde Regenhardt, „aber die Ware muß sich in neuen Kleidern zeigen.“ Für D-Mark will der Ostbürger auch Westverpackungsmüll.

Joachim Schurig