„Frisches Blut, bitte...“

■ Co-Produktion von WDR und DFF / „Tatort„- und „Polizeiruf„-Kommissare ermitteln gemeinsam in Sachen „illegaler Kunsthandel“ / Götz George verkündet Abschied von der Schimanski-Rolle

Von Eva Schweitzer

„Es kotzt mich an, wie dummdreist die Presse über mich schreibt, es tut mir leid für die DDR-Kollegen, aber mit Ihnen aus dem Westen rede ich nicht mehr“, ruft Kommissar Schimanski, nein, Götz George, wedelt mit dreien der fünf Blumensträuße, die er soeben zum 52ten Geburtstag bekommen hat, stürmt aus dem Prunksaal des Grand Hotels an der Ostberliner Friedrichstraße und läßt eine verdatterte Pressekonferenz zurück.

Nicht genug: Schimmi wird nicht mehr sein, gesteht WDR -Fernsehspielchef Witte. Nur noch drei Folgen werden mit dem beliebtesten Tatort-Kommissar hergestellt, die letzte davon wird Dezember 1991 gezeigt werden. Und auch Kollege Thanner hört auf. „Dick ohne Doof ist nicht vorstellbar“, begründet er. Und zehn Jahre seien genug. Nachfolger sind nicht in Sicht.

Im Grand Hotel wurde die Gemeinschaftsproduktion des WDR und Deutschen Fernsehfunks (DFF) vorgestellt: Ein Posten Kunst. Schimanski (Götz George) und Thanner (Eberhard Feik) ermitteln mit den Kommissaren der DFF-Serie Polizeiruf 110, Fuchs (Peter Borgelt) und Grawe (Andreas Schmidt-Schaller), gegen Kunstdealer von der ehemaligen Staatssicherheit. Der Film ist inspiriert vom „Fall Schalck -Golodkowski“, erklärt Helmut Krätzig, bislang Drehbuchautor des populären DDR-Serienkrimis, nun Regisseur und Autor der Co-Produktion. Gedreht wird an „Originalschauplätzen“: Im Galafoyer des SED-Prestigeobjektes Grand Hotel vor der ehemaligen Staatsbank der DDR, in Wirklichkeit längst übernommen von der (West-)Berliner Bank und auf dem Betondeck des 16stöckigen Hotelparkhauses.

„So mühsam bin ich ja noch nie gestorben“, schimpft dort Peter Schubert, der in einer blauen Mechanikeruniform hinter einem beigen Lada mit DDR-Kennzeichen sitzt und die Leiche spielt. Die kleinen Sprengladungen in seiner linken Brusttasche explodieren nicht richtig: Erst zu spät, dann zu schwach und schließlich zerfetzt eine die ganze Anzugtasche, so daß die Leiche gezwungen ist, für den Rest der Einstellung eine unauffällig schlaffe Hand auf der Brust ruhen zu lassen. Die Leiche gehört zu den Bösen, und sie wollte gerade bei den beiden West-Kommissaren - den Guten auspacken, als der schallgedämpfte Schuß aus dem Hinterhalt traf.

Angefangen hat alles in Duisburg. Eine Leiche - eine andere - wird im Hafenbecken gefunden. Sie steht in der DDR auf der Fahndungsliste. Damit in Verbindung gebracht wird ein Duisburger, der Gemälde aus der DDR sammelt. Bei ihm ist ein größerer Schwung davon aufgetaucht, der unter Honni als Maßnahme zur Devisenbeschaffung privaten Kunstfreunden und Museen abgenommen und nun im Zuge der Privatisierung vom ehemaligen VEB Stasi in den Westen verhökert wurde.

Die Polizeiruf-Kommissare Fuchs und Grawe, die wegen Kunstdiebstahls ermitteln, nehmen den Leichenfund als Anlaß zu einer Dienstreise in den Westen. Der Duisburger Kunstsammler freilich kann nachweisen, daß alles legal zuging, die Ermittlungen verlaufen zunächst im Sande. Zum Glück fallen Fuchs und Grawe in die Hände der bewährten West -Fachkräfte Schimmi und Thanner. Und die geben nicht auf, sondern beschließen, sich selbst outfitmäßig als Kunsthändler zu tarnen, in die DDR zu reisen und sich den ehemaligen Stasi-Mitarbeitern im Grand Hotel als Lockvögel anzubieten.

Momentan haben Schimmi und Thanner auf dem Parkdeck wohl eher Schwierigkeiten mit ihren Ermittlungen. Sie warten im Lada auf den besagten Mechaniker, der bereits als Leiche hinter dem Autor liegt - der Einfachheit halber knallkörperfrei zusammengebrochen, der Schuß wird nachsynchronisiert. Schimmi, etwas ungewohnt in hellem Anzug und rosa Krawatte, steigt aus, grinst breit, blickt um sich, findet plötzlich völlig unerwartet den Toten, kniet nieder und ruft entsetzt: „Thanner!“ Obwohl der als getarnter Kunsthändler ja Koslowski heißt. „Vielleicht etwas langsamer“ solle er die Leiche finden, schlägt Krätzig vor. Deren Blutfaden in Richtung Kinn vertrocknet langsam. „Frisches Blut, bitte“, sagt Krätzig, und Thanner solle gleich hinter Schimmi aus dem Wagen stürmen.

Die Geschichte sei fiktiv, sagt Krätzig später, aber die Realität übertreffe ja inzwischen die kühnsten Träume unserer Phantasie. Hier, in einem Keller nahe der Friedrichstraße sei, erläutert ein Mitarbeiter, sei ein Lager mit Goldbarren entdeckt worden, unter Kohlen verborgen, auch dies von der Stasi angelegt. Von der wirklichen.

Die Zusammenarbeit zwischen DDR- und BRD-Fernsehen, seit Dezember im Schwange, sei unproblematisch, meint Krätzig. Nur die Drehgenehmigungen für die Stasi-Villen zu bekommen, wäre schwierig, da sei es so unklar, wem was gehört. Die Polizeiruf-Kommissare hätten diesmal aber keinen „Fachberater“ zur Seite gehabt, wie bei ihren anderen Fällen üblich. Auch ansonsten wird sich einiges ändern in der Ost -Seite. „Lebhafter“, sollen die Kommissare werden, nicht so „staatstragend steif“, meint Borgelt alias Kommissar Fuchs. Die Fälle werden interessanter, „wie ja die wirkliche Kriminalität bei uns auch, leider.“

Nun ist auch der Hotelmanager von den Schüssen auf dem Parkdeck aufgeschreckt worden. Er beugt sich über die Leiche. Schimmi sucht seinen Freund, diesmal kann er das „Thanner?“ gerade nach verschlucken. Nein, das wirkte nicht gut, man solle es einmal anders probieren, schlägt er vor, mehr mit fragendem Unterton. „Ihr diskutiert hier stundenlang 'rum und ich frier‘ mir einen ab“, mosert die Leiche, die seit einer halben Stunde fast ununterbrochen auf dem kalten Betonfußboden liegt.

Nicht nur der Tatort ohne Schimmi wird Probleme bekommen. Auch was aus Polizeiruf 110 wird, ist so unklar wie die Zukunft des Deutschen Fernsehfunks. Bis Ende 1991 ist die Finanzierung der Serie, die wie das bundesdeutsche Pendant in wechselnden Städten spielt, noch gesichert.

Der DFF wird aber wohl in fünf Länderanstalten zerlegt und der ARD angegliedert werden, gegen seinen Willen. „Ein starker Sender ist besser als fünf schwache“, hieß es auf der Pressekonferenz. Und die 16 Millionen DDR-BürgerInnen bräuchten einen Sender von Leuten, die mit den Problemen der DDR vertraut seien, nicht von Westlern. Man habe viele Briefe von ZuschauerInnen für den DFF erhalten. „Den Künstlern wird hier das Fell verkauft“, stellt Eberhard Feik fest. Mit denen sei er solidarisch, die Wiedervereinigung gehe viel zu schnell. Zwar sei er sich bewußt, daß sich „Leute unsere Co-Produktion ans Revers heften, deren politische Sicht ich nicht teile“, aber dagegen könne man nichts machen.

Ein Posten Kunst wird voraussichtlich im November gesendet, im jeweiligen Land mit dem dort üblichen Vorspann, es sei denn, man kann sich bis dahin dazu durchringen, einen gemeinsamen Vorspann zu produzieren. Die Kosten von schätzungsweise anderthalb Millionen tragen die SDR -Auftragsfirma Bavaria zu sechzig Prozent, der DDF zu vierzig Prozent. Thanners Zukunft könnte übrigens dort liegen: Schmidt-Schaller und Borgelt würden ihn gerne als Co -Kommisssar aufnehmen. „Den Götz natürlich auch.“

Jetzt fetzt Thanner übers Parkdeck, so langsam hat er den richtigen Ton heraus. „Rufen Sie einen Notarzt oder was!“ brüllt er den Hoteldirektor an, und: „Wo ist der Aufzug?“ „Da rechts“, schreit der. - „Der funktioniert nicht“, brüllt Thanner zurück, sehr realitätsgerecht ist das alles. „Dann springen Sie doch vom Dach“, ruft der Direktor, die Klappe ist schon gefallen. „Ja, und wenn Sie im zweiten Stock vorbeifliegen, sagen Sie Bescheid, daß ich hier liege“, witzelt die Leiche.