Die Vielfalt geht verloren

■ betr.: "Wenn der Doktor mit der Ratte...", taz vom 16.7.90

betr.: „Wenn der Doktor mit der Ratte...“, taz vom 16.7.90

Es geht auf dem Sexualkongreß nicht nur um Homosexualität, aber als Schwuler verfolge ich das, was gerade darüber berichtet wird, natürlich besonders - und ich muß leider feststellen, daß sich viele in meinen Augen der Dimension der Forschung von Prof. Dörner und Co. nicht bewußt sind.

Es geht nicht nur darum, die Akzeptanz der Homosexualität in der Bevölkerung durch Offenlegung ihrer Gründe zu fördern, sondern auch um das Beherrschen dieser Gründe sprich Umpolung von Schwulen und Lesben. In einem Vortrag im Rahmen des „rosa cafe„s im HdjT (Haus der jungen Talente in Ost-Berlin, d.Korr.) sprach dazu eine enge Mitarbeiterin von Prof. Dörner.

Raus kam für mich vor allem: Man versucht weiterhin, mittels Hormonbehandlungen bei „Betroffenen“ ihre Homosexualität zu „überwinden“, als Nahziel (fünf Jahre) stellt man sich die Diagnostizierung von Homosexualität beim Kinde im Mutterleibe, als Fernziel (zehn Jahre) die Umpolung vor der Geburt - natürlich, wenn die Eltern dies wünschen sollten.

Den fadenscheinigen moralischen Hintergrund ihres Bemühens möchte ich nicht wiedergeben; ich will darauf hinweisen, was dies für uns bedeuten würde: Natürlich würde die überwiegende Mehrheit der Eltern einer Umpolung zustimmen wir würden damit nicht nur immer weniger, sondern der Druck auf uns Übriggebliebene würde zunehmen, uns doch auch behandeln zu lassen.

Vielleicht sehe ich zu schwarz, aber ich habe Angst vor dieser Entwicklung - ich kann nicht ausschließen, daß die Medizin diese Möglichkeit findet. Damit ginge es nicht mehr um Akzeptanz dieses unseres Andersseins als eine Form des menschlichen Zusammenlebens, welche für die anderen, die übergroße Mehrheit der „Normalen“, eine Chance und Herausforderung ist, ihre Liebe zu verstehen und zu hinterfragen, ja in Frage zu stellen. Damit ginge es nur noch darum, wie lange wir noch dies leidige Problem des Schwul- und Lesbischseins haben werden. Ganz davon abgesehen, was dies für mich persönlich bedeutet - in meinen Augen verlöre das menschliche Leben an Vielfalt.

Ulf, Berlin 1035