Aus dem hohlen Bauch heraus

■ betr.: "Anwälte der Demokratie" von Willi Hoss. taz vom 16.7.90

betr.: „Anwälte der Demokratie“ von Willi Hoss, taz vom 16.7.90

(...) Alles aus dem hohlen Bauch heraus formuliert. Das ist zur Zeit das übliche Verfahren, wenn es um die DDR geht. Darum kann es interessant sein, sich ein bißchen damit auseinanderzusetzen.

Gleich zu Anfang nennt Hoss das Motiv für seine Attacke: Nach langem qualvollen Ringen mit seiner KP-Mitgliedschaft hat er die Sicherheit gewonnen, fürderhin nur noch wahrer Anwalt der Demokratie sein zu wollen und da trifft ihn, als er nichtsahnend in Berlin spazieren geht, wie ein Schlag das PDS-Plakat „Gysi - Anwalt der Demokratie!“ (...) Er meint, die PDS habe als SED-Nachfolgerin kein Recht, sich als Anwalt aufzuspielen. Er weiß das einfach. Er sieht keinen Grund, sich mit Debatten, konkretem Verhalten, Struktur der Mitgliedschaft der PDS auseinanderzusetzen. Man kann ja behaupten, daß die PDS eine stalinistische Partei ist. Nur ein kleines Argumentchen dafür möcht's schon sein. Hoss hat es nicht.

Er behauptet weiterhin, die PDS sei nichts anderes als die Vertreterin der alten Bürokraten. Genau das ist kaum glaubhaft. Wer in der DDR auch nur seinen Job behalten will, für den gibt es nichts blöderes, als in der PDS zu bleiben. Die falsche Partei für Wendehälse.

Einige linke Grüne meinen nun, daß man sich mal selbst bei der PDS informieren sollte, statt sie mit Kontaktsperre zu belegen. Hoss wird analytisch: „Das ist das altbekannte Lied der Linken, die ihre Existenzberechtigung nicht aus der Überzeugungskraft der Ideen, sondern allein aus der Tatsache ihrer Verfolgung schöpft.“ Genau richtig! Aber an welcher Stelle seines Beitrags setzt Hoss sich mit den Ideen der PDS auseinander? Statt dessen wirft er der PDS vor, die Not der Arbeitslosen für ihr politisches Überleben zu nutzen, indem sie „auf die soziale Pauke haut“. (...) Es ist eine banale Selbstverständlichkeit, daß jede Partei in diesem Lande zuvörderst an ihrem politischen Überleben interessiert ist. Man mag es kaum sagen, aber Hoss meint, daraus ein Argument machen zu können.

Aber auch ein Vertreter der DDR-Basisgruppen bekommt sein Fett weg: „Intuitive Abwehr und tiefe Zweifel gegenüber unseren (!) demokratischen Standards. Sie wollen die demokratischen, humanistischen und sozialen Chancen nicht an sich heranlassen.“ (...) Womit hat der Mensch das verdient? Er hat gesagt: „Wir hier in der DDR hatten noch nie so wenig Demokratie wie jetzt.“ Hoss nimmt nicht zur Kenntnis, daß die kurze Zeit der Basisdemokratie vorbei ist in der DDR. Die ordentlich gewählten legitimen BRD und DDR-Regierungen entscheiden, das Volk guckt zu. Wer das kritisiert, hat intuitive Abwehr gegen unsere demokratischen Standards. (...)

Also nicht rummäkeln und nicht auf die soziale Pauke hauen. Was rät Hoss den DDR-Bürgern? „Sie müssen, bevor ihre Löhne steigen können, durch Steigerung der Arbeitsproduktivität sich diese Löhne erst noch verdienen“. Wer DM -Marktwirtschaft gewählt habe, müsse jetzt abbauen, umschulen und neubeginnen. „Andernfalls machen die DDR -Firmen und Läden eben einfach pleite. Wer A sagt, muß auch B sagen.“ Hoss als Zyniker; von wegen demokratische, solidarische und humanistische Chancen: nichts als hohle Phrasen. Hoss‘ Rezept: Hart arbeiten, Gürtel enger schnallen und im übrigen: Augen zu und durch. (...) Die Verhältnisse sind ziemlich kompliziert. Wer wie Willi Hoss glaubt, mit einfachen Wahrheiten auszukommen, fällt auf die Schnauze. Hoss ist ein verhärteter Ideologe der realen bundesdeutschen Demokratie. Er denunziert jeden als demokratiefeindlich, der darüber hinaus will oder auch nur Kritik an ihr hat. Hoss ist einen weiten Weg gegangen: Vom stalinistischen Dogmatiker zum dogmatischen Vertreter bundesdeutscher Verhältnisse. Wir, die wir nie etwas mit DKP und SED am Hut hatten, müssen uns jetzt von solchen Leuten Belehrungen anhören. (...)

Folker Dutzmann, Münster (BRD)

Für Willi Hoss besteht kein Grund, sich mit der PDS zu verbrüdern („fraternisieren“), weil sie ein „opportunistisches Verhältnis zu ihrer Vergangenheit, sowie eine intuitive (auf Eingebung beruhende) Abwehr und tiefe Zweifel gegenüber unseren demokratischen Standards in der Politik“ hat, weil sie die Partei der alten Bürokraten ist und für sie „auch in der neuen Republik Deutschland wieder Privilegien, Macht und Einfluß erstreiten will“. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war ein PDS-Wahlplakat zum 18. März „Gregor Gysi - ein Anwalt der Demokratie“. Gysi hat auf einer Klausurtagung der PDS am 12. Mai kritisch eingeräumt, daß durch den starken Aktionismus (siehe Plakat) notwendige inhaltliche und strategische Erneuerungsprozesse verdeckt oder verdrängt worden sind. Anstatt die westlichen Standards der Demokratie zu preisen und vier Monate später sich über den Wahlkampf der PDS zu beklagen, sollte Herr Hoss dieses Diskussionspapier einmal studieren. Diese „demokratischen Standards“, die für Gysi die rechtsstaatswidrige Kontrolle seiner Partei durch die Exekutive bedeutet, werden uns nicht retten vor unserer Selbstausrottung. „Demokratisch“ gewählte Regierungen verhindern den sofortigen FCKW- und Kernkraftausstieg, segnen die weitere Abholzung des Regenwaldes ab und umgeben das alles noch mit einem „grünen Mäntelchen“, das dem gestiegenen „Umweltbewußtsein“ Rechnung tragen soll. Indem die Realpolitiker bei den Grünen Regierungsbeteiligungen in dieser Art von Demokratie anstreben, machen sie sich mitschuldig am weiteren Verfall, während man mit der Partei des Interessenausgleichs zwischen Kapital und Gewerkschaften, der SPD, Regierungen bildet und sich hinterher über Atomkraftwerksbetriebsgenehmigungen, Offerten an die Großindustrie (Daimler), Autobahnbau und so weiter beklagt, „besteht kein Grund, mit der PDS zu verhandeln“.

Auch die PDS ist sehr widersprüchlich und hat noch keine fertigen Rezepte zur Rettung der Menschheit. Wenn sich aber Gysi zum wirklichen marxistischen Ansatz von der Arbeitsteilung und daraus folgenden Entfremdung bekennt, führt dies - die Aufhebung der Arbeitsteilung und die freie Assoziation der Produzenten - letztlich zum Ökodorf und der Subsistenzwirtschaft. Der technische und fiskalische Umweltschutz, ja der „ökologische Umbau“ der Industriegesellschaft dagegen, wie ihn die SPD favorisiert, wird die Katastrophe nicht aufhalten.

Was dann an diesem Ansatz die Bürokraten noch reizen sollte, die PDS zu wählen, bleibt fraglich; wie es sich im Hinblick auf Beamtenstatus und Radikalenerlaß sowieso kein Bürokrat mehr leisten kann, mit der PDS zu sympathisieren. Im übrigen: Wer zu den alten Mächtigen der DDR gehören wollte, mußte Mitglied der SED sein. 1,8 Millionen ehemalige SED-Mitglieder aber haben die PDS nicht gewählt, dafür aber 1,4 Millionen, die nie Mitglied waren. Und das hat Infas festgestellt.

Bert Pampel, Berlin 1130

Wenn alte Traditionen gepflegt werden, klingt das immer nach unbewältigter Vergangenheit. Linke Politik aufzubauen ist entscheidend schwieriger, als rechte Politik umzusetzen. Eine Erkenntnis der Geschichte.

Herr Hoss beschwört in oben genannter Dokumentation diesen Prozeß der Trennbarkeit von Links und Links. Trotz schlechter und schmerzlicher Erfahrungen scheint ein linkes Aktionsbündnis auch im neuen Deutschland vorerst nicht in Aussicht. Warum?

Links ist alles, was nicht rechts ist. Eine These, deren Wahrheitsgehalt leicht nachprüfbar ist, jedoch auch die Schwierigkeit gemeinsamer Konsensfindung involviert. Das breite Spektrum linker Kräfte hat ein breites Spektrum verschiedener Ansichten in Haupt- und Detailfragen geschichtlicher und tagespolitischer Prozesse zur Folge. Statt aus diesem Fundus zu schöpfen, wird es zur Ursache ihrer Spaltung. Unversöhnliche Vorbehalte grenzen einzelne Strömungen diskussionslos aus.

Einschließlich der inhaltlichen Umgestaltung sollte sich heute linke Politik auf „bunte“ Politik verlagern. Grüne, rote, lila und sonstige Strömungen wären gut beraten, in entscheidenden Situationen auf konsensfähiger Grundlage gemeinsam zu handeln, ohne jedoch die Spezifik ihrer ideologischen Basis aufzugeben.

Der Prozeß der Vereinigung Deutschlands muß auch ein Prozeß der Annäherung aller linken Kräfte sein.

Unter diesen Gesichtspunkten ist eine Von-Vornherein-Absage an die PDS widersinnig. Wenn diese Partei in ihrem Bemühen nicht halt macht, die eigene Vergangenheit komplex aufzuarbeiten, sich mit Fehlern und Dogmen kritisch auseinanderzusetzen, um schließlich modern, den Anforderungen der linken Bewegung in Deutschland, Europa und weltweit impulsverleihend gewachsen zu sein, dann muß sie hier integriert werden. Für die PDS besteht kein Grund, mit den Grünen nicht zu fraternisieren.

Wie weit der Prozeß der Erneuerung vorangeschritten ist, kann man eigentlich nur an der Basis richtig beurteilen. Zwar weisen Programm und Statut sie als eine völlig neue, allen linken Strömungen offene und vor allem tolerante Partei aus, doch ist dieser „theoretische“ Bruch mit der Vergangenheit in der praktischen Umsetzung noch lange nicht abgeschlossen. Und das ist gut so.

Sich wendende Politik ist sich windende Politik oder kommt ihr zumindest sehr nahe, wenn das Wenden nicht mit ehrlicher und kritischer Aufarbeitung und genauer Analyse gemachter Fehler einhergeht.

Der Bruch mit der Vergangenheit muß radikal erfolgen. Auf dem Papier wie in den Köpfen. Dies ist mit einem dekretierten Staatsvertrag ebensowenig zu schaffen, wie mit einem, na sagen wir „Parteivertrag“. In beiden Fällen bleiben die alten Probleme bestehen. Wohl aber müssen praktische Schritte die Vergangenheitsbewältigung katalysieren.

Um auf diesem Weg, weil auf sich allein gestellt, nicht wieder in alte Fehler und Dogmen zu verfallen, benötigt auch die PDS die Unterstützung und das Aktionsbündnis mit den Grünen. Weder linke noch „bunte“ Politik können es sich leisten, auf die geschichtlichen Erfahrungen und Lehren der PDS zu verzichten. Deshalb, Herr Hoss, bestehen für die Grünen gute Gründe, auch mit der PDS zu verhandeln.

Zum Selbstverständnis: Ich bin weder VK- noch Bundestagsabgeordneter, noch Mitglied irgendwelcher Leitungsgremien der PDS.

Rainer Caspari, Leipzig 7010