Unterm Strich

Nun weiß man ja, daß es derzeit gefährlich sein kann, einen älteren Text unredigiert zu veröffentlichen, nicht zuletzt die FAZ hat diesbezüglich größte Aufmerksamkeit bewiesen. Ist es doch ihr zu verdanken, daß einer deutschen Autorin die notwendige Rüge öffentlich erteilt worden ist, weil sie es nicht für nötig gehalten hatte, einen nur zwei Jahre alten Text vor Veröffentlichung zu überarbeiten. So ist vermutlich dem Publizisten Johannes Gross (J.G., wie er sich selbst bescheiden nominiert) das Schicksal der Dichterin C.W. gut erinnerlich, und er nutzt die Gelegenheit, ausführlich darauf hinzuweisen, daß er selbiges Sakrileg wahrscheinlich nicht beabsichtigt: In der Mittwochsausgabe finden wir in der Reihe der „Werkbesichtigungen“ einen überlebensgroßen Aufsatz mit dem Titel „Gross über Gross“. Wir

empfangen dankbar die Mitteilungen über die ursprüngliche Aufnahme des Bändchens „Die Deutschen“ des damals vierunddreißigjährigen Journalisten: die von der Kritik freundlich, vom Publikum nicht überschwenglich. Nun hatte der junge Journalist damals Glück, denn der Gegenstand, nach Gott, Tod und Unsterblichkeit der größte, den es für einen deutschen Autor gibt, fand mich nicht ganz ohne Vorbereitung.

Neben ausführlichen Bemerkungen über seine Verfassung vor einigen zwanzig Jahren teilt uns der Autor auch mit, welche Arbeitsform ihm damals, heute und überhaupt die liebste ist: Die Kapitel sind nach langem Ansammeln von Materialien und wenigen, nur der Gliederung dienenden handschriftlichen Entwürfen in frischem Tempo geschrieben, das heißt diktiert worden. Diese Ar

beitstechnik ist mir seitdem die liebste geworden (...) Ich habe gefunden, daß es meinem Text nicht bekommt, wenn er in der Langsamkeit des Selberschreibens, ob von Hand oder der Maschine, entsteht. Die Gefahr des allzu Bedachten, des Gewählten, die Verführung zum Pretiösen schleicht sich ein. Das mündlich Formulierte hingegen behält einen natürlichen Fluß. Die Sätze sind nicht kürzer, aber durchsichtiger, ihre Gliederung dem Ohr wohlgefälliger als die Periode, die ich beim Langsamschreiben konstruiere. Nur was ganz leicht aussehen muß, ganz beiläufig, muß penibel, Silbe für Silbe, niedergeschrieben sein (...) Da können wir doch beruhigend wirken: Es kommt bei derlei Gedankengut nun ganz und gar nicht darauf an, wie wohlgefällig die Gliederung dem Ohre ist, und auch das frische Tempo bringt die Sache noch nicht zu sich

selbst. Wer eine halbe Zeitungsseite darauf verwendet zu erläutern, warum er bestimmte Aktualisierungen nun doch (nicht?) vornimmt, obwohl der Verleger in den letzten Jahren mehrfach gedrängt hatte, dem ist auch das allzu Bedachte nicht vorzuwerfen. Uns bleibt nichts übrig, als nun atemlos auf die Lösung des Rätsels zu warten, die sich durch die Lektüre des Artikels nicht erschlossen hat: Wird er nun...? Oder wird er nicht?

Eine Ausstellung mit Dokumenten aus der umfangreichen Hugo -Ball-Sammlung in Pirmasens ist dortselbst am Mittwoch eröffnet worden. Unter den Exponaten (von den 2200 Stücken kann nur ein kleiner Teil gezeigt werden) befinden sich u.a. Neuerwerbungen des Archivs, eine Dokumentation zu Hugo Balls Buch „Die Flucht aus der Zeit“ und seine Totenmaske (1927).