Das bunte Biest am Himmel

■ Drachenkämpfe sind in Asien Volkssport / Einwanderer bringen das himmlische Vergnügen nach Europa

Von Roland Kentrup

Dortmund (taz) - Die weiß-blauen Trapezflächen rasen im Sturzflug zu Boden. Sie brechen nach links aus. Blitzartig steigen sie wieder gen Himmel. Plötzlich gerät eine ins Trudeln und geht ein paar hundert Meter weiter zu Boden. Jonki schreit triumphierend auf: „Das war's für dich“. Hier handelt es sich nicht um den Luftkampf zwischen zwei Düsenjägern, sondern Jonki hat gerade mit seinem Kampfdrachen die Drachenschnur seines Freundes Ruben durchschnitten. Dave „Jonki“ Soekana (30) und der dreizehnjährige Ruben Lanu sind beide Indonesier. Sie leben in Holland. In ihrer Heimat spielt fast jedes Kind mit Kampfdrachen. Es gibt Kämpfe zwischen den Dörfern und sogar Profiturniere mit hohen Geldprämien für den Sieger. Ein Kampfdrachen ist äußerlich unscheinbar: quadratisch, ca. 35x35 Zentimeter, sehr flach. Aber am Himmel zeigt er, was in ihm steckt. Dort ist er ein wahres Biest. Seine Waffe ist die mit Glassplittern präparierte Drachenleine, die die Schnur des Gegners durchsägt.

In Holland gibt es im Moment 18 Kampfdrachenclubs. Sie heißen „Kilat“ (Blitz), „Hawks“ (Falken) oder „Marsegu“ (Fledermäuse). Regelmäßig tragen sie Vereinswettkämpfe aus: Zwei oder vier Spieler stellen sich nebeneinander in einer Linie auf. Jeder zieht die präparierte Schnur kurz über seinen Daumennagel. Dort hinterläßt sie eine Kerbe: die „Säge“ funktioniert. Dann lassen sie ihren Drachen steigen. Auf Pfiff beginnt der Kampf. Nun wird in Windeseile Schnur gegeben, um den Drachen höher fliegen zu lassen oder mit beiden Händen ruckzuck Schnur eingeholt, um den Drachen nach rechts oder links oder sonstwohin ausbrechen zu lassen.

Festes Ziehen ist das A und O. Niemand trägt Handschuhe, weil sonst das Fluggefühl etwas verlorengeht. Die kleinen Risse in den Händen sind der Preis.

Die Faustregel ist: Der Drachen, der zuerst zu Boden geht, hat verloren. Manche Drachen steigen hoch auf und flitzen dem Mitspieler von oben im Sturzflug über die Schnur. Andere greifen von unten an. Sie kappen die Leine im Steigflug. Jonki: „In diesem ungeheuer schnellen Spiel kannst du nicht mit einer Taktik gewinnen, weil der Wind auch immer eine Rolle spielt.“

Jonki verrät, wie er aus einer gewöhnlichen Drachenschnur eine „tödliche Säge“ macht: er zerstößt Glas in einem Mörser, kocht Tierknochen, Mais oder Mehl zu einer klebrigen Pampe auf, fügt leuchtende Farbe hinzu und vermengt das ganze. In dieses rot, grün oder blau gefärbte Gemisch taucht er dann die Rolle mit der Drachenschnur. Solange die klebrige Masse mit den Glassplittern noch naß ist, wickelt er die Baumwollschnur circa 200 Meter ab und zieht sie dabei durch Daumen und Zeigefinger. Im trockenem Zustand würde sie ihm die Finger aufschneiden. Die Schnur wieder aufrollen, die ganze Prozedur noch fünfmal wiederholen und die Drachenleine ist mit feinen Glassplittern bespickt. Nun ist der Drachen für den Kampf gerüstet.

„Nur wer seinen Drachen selbst gebaut hat, weiß, wie er sich am Himmel verhält. Du gibst dem Drachen seinen Charakter“, sagt Lukas Vogel, der beste Kampfdrachenflieger der Schweiz. Das Gerüst des Kampfdrachens besteht aus Bambusrohr. Ein gerader Mittelstab wird mit einem gebogenen Querstab verbunden, das fertige Gerüst auf sogenanntes Japan - oder Seidenpapier geklebt. Aber es gibt keine Bauanleitung für Kampfdrachen: „Das ist ja das Tolle. Bambus ist ein Naturgewächs und damit unberechenbar. Zum Beispiel ist jedes Rohr unterschiedlich hart. Du kannst keinen Drachen genauso bauen wie den anderen“, erklärt Lukas. Bei den Kampfdrachen müsse man immer experimentieren.

Lukas hat schon Kampfdrachen aus Blumeneinwickelpapier und sogar aus Plastikmülltüten gebaut. Ein Kampfdrachen kostet im Eigenbau weniger als zwei Mark. „Je mehr du baust, desto individueller wird dein Drachen“, meint Lukas. „Du kannst ihn genau auf dich zuschneiden. Von daher ist es auch gar nicht schlimm, wenn welche beim Kampf kaputtgehen.“