Regierung soll alles gewußt haben

■ Die sozialliberale Bundesregierung soll bereits Anfang der 80er Jahre die RAF-Aussteiger in der DDR toleriert haben / SternTV: Es gab Absprachen zwischen Regierungsparteien und SED

Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) - Die Bundesregierung soll bereits Anfang der 80er Jahre darüber informiert gewesen sein, daß frühere RAF -Mitglieder sich in die DDR abgesetzt haben. Das behauptet das Magazin „SternTV“. Dazu hätte es „höchst geheim gehaltene Absprachen“ zwischen der DDR-Führung und der damaligen sozialliberalen Regierung in Bonn gegeben. Als Beleg für ihre Behauptung führte das Fernsehmagazin die Aussagen früherer Stasi-Leute und Unterlagen aus dem Wiesbadener Bundeskriminalamt (BKA) an. Der frühere Justiz und Innenminister Gerhart Baum (FDP), das BKA und der SPD -Parteivorstand dementierten gestern vehement: Solche Verbindungen mit dem SED-Regime und Absprachen in Sachen RAF -Aussteiger habe es nie gegeben.

Folgt man den Recherchen von „SternTV“, gehen die Hinweise auf ein Abtauchen der RAF-Leute in der DDR bis ins Jahr 1978 zurück. Nach der Festnahme von vier Mitgliedern der „Bewegung 2.Juni“ in Bulgarien setzen sich Inge Viett sowie die Frauen Siepmann und Nicolai in die CSFR ab und bitten um eine Überstellung in die DDR. Nach zweiwöchigen Verhören und Diskussionen versprechen die DDR-Verantwortlichen dort, zu prüfen, ob die RAF-Leute im ersten sozialistischen Arbeiter und Bauernstaat Unterschlupf finden können. Frau Viett wird beauftragt, in der RAF zu sondieren, wer aus den Reihen der Guerilla-Kämpfer in die DDR möchte. Im Gegenzug wird den RAFlern auferlegt, von militanten Aktion Abstand zu nehmen.

Entsprechende Hinweise sollen den westdeutschen Behörden bereits zu diesem Zeitpunkt bekannt sein. Ein Wiesbadener Mitarbeiter des BKA macht sich dem Magazin zufolge am 28. August 1978 auf den Weg nach Ost-Berlin, um dem dortigen Generalstaatsanwalt unter anderem Akten über Inge Viett auf den Tisch zu legen. Am 12. Dezember beraten dann die Karlsruher Bundesanwälte mit BKA-Experten auf einer Sitzung unter dem Titel „Fahndungsansätze in der DDR“.

Die Debatte über eine mögliche Aufnahme der RAF-Aussteiger soll in der Abteilung „S“ (Sicherheit des ZK der SED geführt worden sein. Prinzipiell habe man zugestimmt. Aber aus Angst vor außenpolitischen Folgen hätte es dann eine Abstimmung mit führenden Mitgliedern der sozialliberalen Koaltion in Bonn gegeben. Über „politische Kreise“ soll zu dieser Zeit auch der Bundesnachrichtendienst in Pullach informiert worden sein. Das Ergebnis der Absprachen sei gewesen - es wird ein früherer Stasi-Mann zitiert -, die Aussteiger einer dreifachen Kontrolle zu unterwerfen: Betreuung, Sicherung und dazu noch eine operative Kontrolle, ob sie Kontakte ins Ausland aufnehmen wollten.

Auf seiten der Bundesrepublik sollen, wie die „SternTV„ -Leute gestern der taz erklärten, die Politiker Egon Bahr (SPD), Gerhart Baum (FDP) und Hans-Jürgen Wischnewski (SPD) auf dem „kleinen Dienstweg“ angesprochen worden sein. Da der BND frühzeitig eingeweiht gewesen sei, erkläre sich heute nicht nur das mangelnde Engagement, Hinweisen aus der DDR auf die offiziell Gesuchten nachzugehen. Zu vermuten sei weiter, daß auch die heutige Unionsregierung über die Absprachen in Kenntnis gesetzt wurden.

Das BKA wies gestern indes die Darstellung zurück, wonach die Behauptungen des Stasi-Offiziers „nicht von der Hand zu weisen“ wären. Im Gegenteil, heißt es in einer Richtigstellung, daß zur Frage der Richtigkeit der Informantenäußerungen „diesbezüglich keine Informationen vorliegen“. Das frühere Regierungsmitglied Baum wies gestern die Darstellung des Fernsehsenders zurück: Von den Verbindungen des SED-Regimes zu Terroristen habe er erst jetzt aus der Presse erfahren. Darüber hinaus halte er es „für ausgeschlossen, daß irgendjemand in der damaligen Bundesregierung davon gewußt oder gar seine Zustimmung dazu gegeben haben soll“.

Der Hamburger VS-Chef Christian Lochte konnte sich gestern die „SternTV„-Geschichte „nicht vorstellen“. Bei der Karlsruher Bundsanwaltschaft hieß es: „keinerlei Hinweise, daß der Inhalt der Sendung zutrifft“.