: Der endgültige Zeitpunkt des Giftumschlags ist noch ungewiß
■ In Nordenham wird befürchtet, daß die „Operation Lindwurm“ an der Nordseeküste zum Erliegen kommt und der Hafen als Zwischenlager dienen soll
Nordenham, ein 30.000-Einwohner-Städtchen an der Wesermündung. Hier sollen die US-amerikanischen Giftgasgranaten für ihren Abtransport auf das pazifische Johnston Atoll verschifft werden. Wie auch andernorts sind die Betroffenen über die Informationspolitik des Bundesverteidigungsministeriums unzufrieden. Zwar weilte der Nordenhamer Stadtdirektor Lothar Knippert in der vergangenen Woche in der Pfalz, um die vorbereitenden Maßnahmen zu begutachten. Doch wann die giftige Fracht in Nordenham ankommt, weiß auch er nicht. Seine Forderung: „Das Ministerium sollte die Termine sofort auf den Tisch legen, damit jeder Bürger schon im Vorfeld entscheiden kann, ob er an diesen Tagen in Nordenham bleiben will.“ Bislang ist der Landkreisverwaltung lediglich mitgeteilt worden, daß die Züge an sieben aufeinanderfolgenden Nächten einrollen sollen.
Verladen wird das Giftgas im Midgard-Hafen, dem einzigen privaten Seehafen an der Nordseeküste. Eine naheliegende Wahl der Militärs. Denn die Midgard Seeverkehrs-AG hat reichlich Erfahrung mit dem Umschlag von Waffen jeder Art. Nordenham gilt als europäischer Haupthafen für den amerikanischen Munitionsnachschub. In den Hochzeiten der Friedensbewegung wurde immer wieder versucht, die per Bahn weitertransportierten Waffen zu blockieren. Ähnliches ist bislang nicht absehbar. „Augen zu und durch“, beschreibt Gerd Caldewey, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landkreis Weser-Marsch die in der Bevölkerung vorherrschende Stimmung.
US-Transportschiffe
noch nicht fertig
Die Hauptsorge der Nordenhamer ist, daß die „Operation Lindwurm“ in Nordenham zum Erliegen kommt und auf dem Hafengelände ein weiteres Zwischenlager eingerichtet wird. Zwar hat das Bundesverteidigungsministerium dem Nordenhamer Stadtdirektor mitgeteilt, daß daran „nicht gedacht“ sei. Doch ganz so sicher scheint das nicht zu sein. Zum einen läßt die Fertigstellung der Transportschiffe in den USA auf sich warten. Und zum anderen haben sich die Militärs schon einmal die Hafenanlage im vier Kilometer entfernten Blexen angesehen. Dort steht seit Jahren eine sechs Fußballfelder große Lagerhalle leer, in der früher Asbest zwischengelagert wurde. Auf Nachfrage von kritischen Nordenhamern wiegelten die Militärs ab: Die Inspektion sei lediglich erfolgt, um zu überprüfen, ob man an der Pier die Verladung schon einmal üben könne.
Doch auch ohne Zwischenlagerung ist Nordenham ein neuralgischer Punkt der Aktion. Bis auf 80 Meter reicht die Wohnbebauung an die Hafenanlage heran. Der Marktplatz ist gerade mal 500 Meter weit entfernt. Vorsorgliche Evakuierungen sind dennoch nicht geplant, um die Bevölkerung nicht zusätzlich zu beunruhigen. Unruhe kam kurzzeitig auf, als die Militärs bei der Informationsveranstaltung zugaben, was Stadt- und Kreisverwaltung jahrelang geleugnet hatten: Daß nämlich das Giftgas auf dem gleichen Wege ins Land gekommen ist, wie es jetzt abtransportiert werden soll über Nordenham.
Und unruhig werden viele Nordenhamer auch, wenn sie sich an den April dieses Jahres erinnern. Damals plumpste im Midgard -Hafen eine Palette mit Munition in die Weser. Auf entsprechende Vorhalte erklärte ein Vertreter des Verteidigungsministeriums auf einer Informationsveranstaltung: „Technisch gesehen ist der Zwischenfall nicht vergleichbar mit dem C-Waffen -Transport.“
Vor anderen, bislang nicht vorhersehbaren Zwischenfällen warnt derweil die niedersächsische Landesregierung. Michael Jürdens, Pressesprecher von Ministerpräsident Gerhard Schröder, befürchtet, daß möglicherweise Umweltschützer auf dem Meer gegen die Schiffe mit der giftigen Fracht vorgehen und damit den Transport gefährden könnten. Jürdens Spekulation: Die Hafenarbeiter könnten sich weigern, die Schiffe zu beladen.
Holger Buns-Kösters
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen