Freie Fahrt für Giftgaslindwurm

■ Nachdem das Oberverwaltungsgericht in Münster am Mittwoch in zweiter Instanz einen Antrag von 12 Bürgern auf vorläufigen Stopp der Transporte abgelehnt hatte, rollten am Donnerstag morgen die ersten Trucks der US-Armee mit C-Waffen vom pfälzischen Clausen zum Zwischenlager in Miesau. Insgesamt 100.000 Giftgasgranaten sollen auf das pazifische Johnston Atoll befördert werden.

Seit gestern rollt der C-Waffen-Transport durchs Land

Die Frühnebel hängen noch in den Tälern der Pfalz, während die Küchenbrigade einer Versorgungseinheit der Bundeswehr auf dem Dorfplatz von Clausen schon den ersten Kaffee ausschenkt und Brötchen schmiert. Es ist 7.30 Uhr und es ist kühl in Clausen. Eine Hundertschaft der rheinland -pfälzischen Bereitschaftspolizei wartet - zusammen mit Journalisten aus aller Welt und Presseoffizieren der US-Army und der Bundeswehr - auf die exakt 80 Fahrzeuge eines Konvois, der als „Abrüstungslindwurm“ in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eingehen wird. Denn damit werde das Ende der Rolle der Bundesrepublik als Stationierungsland für C-Waffen eingeläutet, erklärte Generalmajor Klaus Naumann von der Bundeswehr. Eine Einheit der 76. US -Transportkompanie will in einer halben Stunde die ersten US -Giftgasgranaten aus dem Depot Clausen zum 50 Kilometer entfernten Depot Miesau bei Kaiserlautern verfrachten falls alles nach dem Zeitplan des Einsatzstabes verläuft.

Von der Clausener Bevölkerung ist noch nichts zu sehen. Die Hauptstraße durch den Ort wurde schon im Morgengrauen von Fahrzeugen geräumt. Polizeikontingente haben das Depot am Ortsrand hermetisch abgeriegelt, in dem noch das in 155 -Millimeter- und 8-Inch-Haubitzengeschossen eingeschlossene, tödliche Giftgas in Stahlmagazinen auf die Containerverladung und den Abtransport wartet. Insgesamt 100.000 dieser Granaten mit dem Nervenkampfstoff „Sarin“ und dem Kontaktgift „VX“ sollen in den nächsten Wochen an 30 Werktagen nach Miesau gebracht werden. Eine „gigantische Herausforderung für alle Einsatzkräfte“, meint Oberstleutnant von Kluge, der im Kampfanzug und einer flotten Mütze auf dem kantigen Soldatenschädel die deutschsprachigen Medienschaffenden betreut.

Pünktlich um acht Uhr rollt dann der Konvoi durch das Dorf: vorneweg Polizisten auf Motorrädern, danach Wannen, Brandschutzfahrzeuge und Funkwagen von US-Army, Bundeswehr und Bundesgrenzschutz. Und dann kommen sie, die 1.400-PS -Trucks mit den „Milvan„-Containern, die den Sicherheitsnormen des „International Maritim Dangerous Goods Code“ (IMDG) entsprechen sollen. Mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 Stundenkilometern dröhnen die 20 Sattelschlepper durch den Ort - zwischen ihnen immer wieder Polizei, Sanitätsfahrzeuge und zwei Gasspürpanzer der Bundeswehr.

Jetzt kommen auch die ersten schaulustigen Clausener aus ihren Häusern und mischen sich unter die Journalisten. „Es wird Zeit, daß des Zeuch endlich fortkummt ausm Dorf“, kommentiert ein Rentner den Konvoi, der rund eine halbe Stunde lang durch den Ort rollt. Bedroht fühlt er sich nicht, denn „des sieht doch alles sehr professionell aus, was die da machen“. In der Tat steuern die überwiegend schwarzen Fahrer der US-Army ihre Lastwagen mit der tödlichen Fracht cool über die Landstraße und anschließend auch über die Schotterfahrbahn der noch nicht fertiggestellten A 62 nach Landstuhl und dann nach Miesau. Das jedenfalls ist die Route an diesem Donnerstag.

„Wenn alle fort sind,

sind sie weg“

Wochenlang wurden die Truck-Driver auf ihren Sondereinsatz vorbereitet, und für jeden Fahrer fährt - neben dem Beifahrer - ein Ersatzmann in einem Begleitfahrzeug mit. Nach harten Auseinandersetzungen mit den Amerikanern durfte auch der deutsche TÜV die US-Trucks untersuchen. Mehr als die Hälfte der ursprünglich von der US-Army vorgesehenen Transportfahrzeuge fiel dabei durch das Prüfungsraster.

Auf halber Strecke, am Hörnchenbergtunnel der A 62, inspiziert der rheinland-pfälzische Innenminister Rudi Geil (CDU) den Konvoi. Der Minister - umringt von Polizei- und Armeeoffizieren - strahlt, als die ersten Trucks aus dem dunklen Tunnel herauskommen und die Mondlandschaft an der Tunnelbaustelle passieren. Alles verlaufe genau nach Plan, verkündet Geil zufrieden. Störaktionen gegen den Abtransport habe es „Gott sei Dank“ nicht gegeben. Rund 1.200 Beamte von Polizei und Bundesgrenzschutz sichern den Konvoi, der gegen elf Uhr pünktlich das Depot Miesau erreicht. „Alles Paletti!“, kommentiert Presseoffizier von Kluge den „gelungenen“ ersten Transport, dem 29 weitere „sichere Konvois“ folgen werden.

Auf der abschließenden Pressekonferenz in der Polizeischule in Enkenbach strahlt Minister Geil dann nicht mehr. In Höhe des Autobahnkreuzes A 62/A 6 flogen nämlich mehrere Düsenjäger trotz eines vom Bundesverteidigungsministerium erlassenenen Verbots zu dicht an den Konvoi heran. Obwohl ein Fernsehteam die Provokation von zwei F-16 -Kampfflugzeugen gefilmt hat, streitet Generalmajor Naumann die Luftraumverletzung ab. Mit lauten Unmutsäußerungen reagieren die versammelten Medienvertreter auch auf die Ein respektive Auslassungen des leitenden Kommandeurs der gesamten Operation, General Dennis Benchoff, von der 59. Ordonnanz-Brigade. Auf Fragen nach der Anzahl der gestern transportierten Giftgasgranaten mag Benchoff „aus Sicherheitsgründen“ nicht antworten. Der General will sich auch nicht zur Gesamtmenge der noch im Depot Clausen lagernden Chemiewaffen äußern. Benchoff: „Wenn wir alle abtransportiert haben, sind sie weg.“

Klaus-Peter Klingelschmitt