VISAFREI BIS NACH HAWAII

DDR-Autofahrt in die Zukunft V  ■ on Cletus Ossing

Selbst der hartgesottenste Autogegner wird nicht bestreiten können, daß die DDR sozusagen im Trabi zur Revolution getuckert ist. Aber die Tage des Plaste-und-Elaste-Autos mit der blauen Fahne sind gezählt, die DDR-BürgerInnen steigen mit der Westmark auf Westautos um. „Neues Denken oder Neues Tanken?“ fragt sich daher der Verkehrsexperte W. Wolf in einer Studie über den DDR-Verkehr 2000.

Wer im deutsch-deutschen Taumel sein Gedächtnis nicht verloren hat, erinnert sich noch daran, wie durch die Forderung nach Reisefreiheit die sog. Revolution erst richtig in Fahrt kam. Heute, angekommen in Deutschland, einig Vaterland, steht auch im Verkehr die Übernahme des westdeutschen Modells in der DDR an. Die Weichen sind gestellt: für die Eisenbahn aufs Abstellgleis, für den Straßenbau auf Vollgas. Aufhebung von Tempo 100 auf den Autobahnen, Verlagerung des Gütertransports von der Schiene auf die Straße, generell der Ausbau der Automobilität auf Kosten des öffentlichen Verkehrs: Welche anderen Optionen die Ostdeutschen hätten oder gehabt hätten, wenn sie die Option „Auto“ nicht bereits getroffen hätten, listet Wolf enorm detailliert auf.

Wobei es aber auch einige Unschärfen in der Argumentation gibt; zum Beispiel ist die Politbüroentscheidung Mitte der siebziger Jahre, den Gütertransport wieder schwerpunktmäßig auf die Schiene zu packen, nicht unbedingt ökologisch begrüßenswert, wenn bedacht wird, daß rund ein Drittel des Gütertransportes für das Hin- und Herschieben von Braunkohle für die Energieversorgung verwendet wurde. Und daß ein ganzes Kapitel dazu dient, den Autoverkehr weltweit ökologisch, sozialistisch, antipatriarchalisch, antirassistisch und was noch alles zu kritisieren, ist im Zusammenhang denn doch übertrieben. Auch vergißt Wolf dabei nicht, immer wieder den Stalinismus (sogar in China) zu geißeln und dem Kapitalismus von Wolfsburg bis Sao Paolo mehrfach ein düsteres Ende zu prophezeien. Man kann dem Autor in diesem Sinne durchaus als Öko-Trotzkisten bezeichnen.

Vor allem aber geben Begriffshülsen wie „der Stalinismus“, „das Profitinteresse der Großkonzerne“ und „die parlamentarische Autolobby“ nur eine sehr matte Erklärung für den – auch im Westen vorfindlichen – Autowahn. Auch die 40 Jahre vorenthaltene Reisefreiheit verstärkt ja nur den ohnehin vorhandenen Drang zum Auto. Letzterer muß also woanders herkommen.

Trotzdem: Wer ein bißchen gründlicher über den Verkehr in der DDR-Zukunft Bescheid wissen will, als es die sich häufenden 'Spiegel'-Artikel zum Thema ermöglichen, findet in diesem Buch genug Stoff.

Winfried Wolf: „NEUES DENKEN ODER NEUES TANKEN? – DDR Verkehr 2000“, isp-Verlag, Frankfurt/M., 1990; 23 Deutschmark