„Eine gewisse Idee von Frankreich“ in Osteuropa

■ Mit steigenden Direktinvestitionen holt die Grande Nation bisherige Versäumnisse nach / Staat spielt Avantgarde, weil es den Patrons an Wagemut fehlt

Aus Paris Alexander Smoltczyk

Was für ein Juli: Ein Amerikaner gewinnt die Tour de France, die Teutonen vereinigen sich, ohne daß die Mark schwächer wird, und holen sich in Italien zu allem Überfluß noch den Weltmeistertitel - wo Frankreich bereits in der Vorrunde ausgeschieden war.

Kurz: eine einzige Kette von nationalen Pleiten, die da Frankreich kurz vor Ferienbeginn den Sommer zu vermiesen drohte - wenn, ja wenn nicht kurz vor Abfahrt ein ganzer Schub von wonnigen Meldungen für gut Wetter gesorgt hätte: Beton-Mixer Lafarge kauft die DDR-Zementfabrik Karsdorf und wird nun Nummer eins in Europa sein, die EDVler von „Cap Gemini Sogeti“ erwerben mit Englands „Hoskyns“ einen der letzten einheimischen Facilities-Anbieter, und - was ist dagegen ein WM-Pokal? - Bernard Tapie, der unerschrockene Universal-Entrepreneur aus Marseille, schlüpft mit gepumpten 1,6 Milliarden Francs in den legendären Schuh mit den drei Streifen.

„In dulci jubilo!“, riefen da Minister und Meinungsmacher, und sie lobten den Internationalismus des französischen Kapitals, wodurch „eine gewisse Idee von Frankreich“ weltweit verbreitet werde, wie sich Finanzminister Beregovoy mit gewollt gaullistischem Zungenschlag auszudrücken beliebte.

Seit 1986 holen die französischen Unternehmen nach, was sie bislang versäumt hatten: den Kapitalexport im großen Stil. 107 Milliarden Francs wurden im letzten Jahr im Ausland investiert - fünfmal soviel wie 1985. Statt mühsam Konkurrenz mit den bundesdeutschen und britischen Firmen zu praktizieren, also in Forschung und Entwicklung zu investieren und neue Absatzwege zu erkunden, halten sich Frankreichs Bosse an das US-Beispiel und kaufen gut eingeführte Unternehmen kurzerhand auf. Von den 459 bundesdeutschen Firmen, die im letzten Jahr die Nationalität gewechselt haben, gingen 63 nach Frankreich.

An vorderster Front steht jene „industrielle Force de Frappe“ aus staatseigenen Monopolen, die seit 1981 von den Sozialisten kostspielig aufgebaut wurde. Bestes Beispiel: die Kreuzbeteiligung von Renault bei Volvo. Die US -Analytiker der Finanzgesellschaft „Translink“ warnten angesichts der Übernahmewelle durch französische Staatsholdings besorgt vor dem Versuch, ganz „Europa zu nationalisieren“ - denn Staatsbetriebe können zwar nach Belieben Firmen aufkaufen, sind jedoch selbst gegen Übernahmeangebote gefeit, weil sie naturgemäß nicht an der Börse gehandelt werden.

Daß der Staat Avantgarde spielen muß, weil es den Patrons an Wagemut fehlt, war in Frankreich schon immer so - und die Tradition bewies ihre Hartnäckigkeit aufs neue, als zur Eroberung der Ostmärkte geblasen wurde. Wie einem lahmen Gaul mußte Beregovoy noch Ende Februar dem Unternehmerverband zureden, sich auf den Ostmärkten umzusehen, auch wenn der Staat nur das politische, nicht das kommerzielle Risiko tragen könne. Im letzten Jahr betrug der Anteil Frankreichs am Ostgeschäft mit 6,6 Prozent ein Drittel weniger als vor neun Jahren. Damit rangiert es abgeschlagen hinter der BRD, Italien, den USA und Japan. Nur in Rumänien, wo jedes Kind Französisch spricht, ist der Abstand zur Bundesrepublik nicht uneinholbar.

Nur ein Beispiel. Statt sich als klassisches Autobauerland um den untermotorisierten Osten zu kümmern, beschränkten sich die Strategien von Renault, Peugeot und Citroen auf das Beackern des US- und Westeuropamarktes. Das rumänische Pilotprojekt „Axel“ von Citroen scheiterte mangels Produktqualität. Die Geschäftsverbindungen zwischen Renault und dem rumänischen Hersteller Dacia, der Limousinen auf R12 -Basis baut, sind vertragsgemäß 1974 ausgelaufen. Jetzt hat die DDR absoluten Vorrang - und manche Renault-Manager grübeln, ob der flinke Fiat-Konzern schon in Bukarest vorstellig geworden ist.

Generell galten den Pariser Managern Verhandlungen in Osteuropa als mühsam, zeitraubend und riskant. Und so sind es nur wenige Firmen, wie der Nahrungsmitteltrust Interagra des „roten Milliardärs“ Jean-Baptiste Doumeng, die jetzt, wo es darauf ankommt, auf langjährige Erfahrungen aufbauen können. Nur neun französische Unternehmen besitzen Vertretungen in der DDR.

Trotz der Übernahme von Klarsdorf-Zement durch Lafarge, trotz der von der Lyonnaise des Eaux an DDR-Städte zu liefernden Klärtechnik, scheint der DDR-Markt somit den sprachmächtigen Bundesdeutschen und den billigen Japanern überlassen zu werden. Als erfolgversprechender gilt zur Zeit Ungarn, wo bis Jahresende insgesamt 50 Joint-ventures abgeschlossen werden sollen - zahlenmäßig immerhin ein Sechstel der austro-magyarischen Kooperationen.