Hehler, Diebe, Schmuggler und Kleinunternehmer

■ Bazar in Polen ersetzt Supermarkt, Fachgeschäft und Unterweltkneipe / Angebot reicht von der billigen Socke bis zum Springmesser für den Gauneralltag

Aus Warschau Klaus Bachmann

Warschau an irgendeinem Samstagnachmittag in irgendeinem Fußballstadion: Die Aufgänge und Rasenplätze, die Parkplätze und Außentribühnen sind eng besetzt, die Umgebung ist bis in die Stadt hinein zugeparkt. Kein Oberliga-Match, sondern „bazar“ oder „gielda“, wie die Polen sagen.

In Polen ersetzen Flohmärkte den Supermarkt, das Fachgeschäft und die Unterweltkneipe zugleich. Hier wird alles verkauft zu jedem Preis und von jedem, der etwas zu verkaufen hat. Im „Zehnjahresstadion“, das zum zehnten Jubiläum der damaligen Volksrepublik gebaut und noch nicht umgetauft wurde, veranstaltet eine Privatfirma den Basar. 1.000 Zloty Eintritt, bewachter Parkplatz, Musik aus dem Lautsprecher, dazwischen Durchsagen: „Meine Damen und Herren, die absolut billigsten Socken gibts bei Feliks, Sektor B, ganz hinten, rotes Hemd auf dickem Bauch.“

Ein paar Meter hinter dem Eingang steht vor einem PKW dezent ein schlanker Mitvierziger und hält einen kleinen Waffenprospekt in der Hand. Das Zeichen für Eingeweihte, daß man hier, im Auto, unter der Hand und ohne die üblichen bürokratischen Genehmigungen ein Schießeisen erstehen kann. Selbst für Gaspistolen braucht man in Polen eine Genehmigung, die nur unbescholtene Bürger erhalten. Im „Zehnjahresstadion“ kriegt sie jeder, und, wie Polizeirazzien zutage brachten, auch in jeder Ausführung: umgebaut zu einer scharfen Waffe oder mit einem im Westen verbotenen Kampfgas, das Lähmungen hervorruft.

Für Rambofans gibt's einige Straßen weiter, auf dem Skra -Flohmarkt, die entsprechenden Messer, Stockdegen für konservativere Gemüter und Springmesser für den Gauneralltag. Dort werden auch Medikamente verkauft, die, so verspricht der Lautsprecher, „von einer westdeutschen Apotheke“ stammen. Allerdings muß diese ein seltsames Geschäftsbaren haben, die pharmazeutischen Produkte sind teils rezeptpflichtig, teils „unverkäufliche Muster“. Wer dem Segen nicht traut, kann ihn am Eingang einem Tierversuch unterziehen, dort nämlich bieten überwiegend Frauen alle nur denkbaren Hunde- und Katzenrassen an.

Großer Renner daneben: legale Raubkopien von Musikkassetten, Videos, CDs und Computerprogrammen. Während es in Westeuropa verboten ist, diese kommerziell zu kopieren, ist Polen entsprechenden Abkommen noch nicht beigetreten. Auch Ausländer versorgen sich hier mit den billigen Kopien.

Zwischen die teilweise schon orientalisch anmutende Händlerfolklore mischen sich auch seriöse Firmen, die importierte Textilien und Autoersatzteile anbieten. Ein junger Mann hat mit Hilfe von Laternenpfählen, seinem VW-Bus und Baustellenmarkierungen ein Quadrat abgesteckt, in das er Container voller Wäsche gestellt hat. Nun findet dort eine Art vorgezogener Sommerschlußverkauf statt, und so geht es auch zu. Um in dem Gewühl übermäßige Verluste zu vermeiden, hat der Geschäftsmann drei Helferinnen an jede Ecke gestellt, die aufpassen, daß niemand etwas unbezahlt mitgehen läßt. „Das ist ein westdeutscher Unternehmer“, erklärt eine der Aufpasserinnen ehrfurchtsvoll, während sie versucht, ein Knäuel kreischender, in einen Wäschekorb verbissener KäuferInnen auseinanderzuzerren, „der hat eine richtige Firma, mit der er hier Importläden versorgt.“

Der Unternehmer sitzt mit halbnacktem Oberkörper auf dem Busdach und kassiert - auf der Nase die Sonnenbrille aus einem schlechten Mafiafilm. Kurz zuvor ging ihm ein Großteil seiner Ware verlustig: Während er sein Mittagessen verzehrte, wurde sein Bus leergeräumt. Nicht ausgeschlossen, daß die Beute jetzt gerade irgendwo in der Nachbarschaft auf einem Basar verkauft wird.

Seine Grenzen hat das Treiben in den Stadien beim Frischfleisch. Das wird indessen überall in der Stadt von fliegenden Händlern in blutbeschmierten Kutten auf Leiterwagen angeboten. Der Straßenverkauf entstand, als Polens Bauern die monopolistischen Transport- und Großhandelsunternehmen umgehen wollten, die im Winter die Preisfreigabe zum Wucher nutzten. Zuerst begrüßte Handelsminister Mackiewicz die Initiative, doch nun rümpft er die Nase: Jetzt knallt die Sonne auf die Fleischbrocken, und die Händler kommen trotz eifrigem Wedeln gegen die Fliegenplage nicht an. Vergiftungen sind die Folge. Die Polizei soll dem Ganzen nun mit Strafzetteln zu Leibe zu rücken, doch „die kriegen dann halt einen größeren Schein und die Sache ist erledigt“, verkündet ein Händler ganz offen im polnischen Fernsehen.

Auch die schärferen Grenzkontrollen, mit denen Polen dem Schmuggel und besonders dem Westberliner Krempelmarkt zu Leibe rückte, haben am basarähnlichen Aussehen von Warschaus Straßen nicht viel geändert. Importiert wird weiterhin, nur die Gelegenheitshändler und die kleinen Schmuggler wurden aus dem Geschäft gedrängt. Die meisten Privatimporteure haben sich Gewerbescheine besorgt und handeln weiter. Jetzt zahlen sie zwar Steuern, genießen aber gegenüber den Ladenbesitzern den Vorteil, keine Mietkosten zu tragen. Selbst wenn die Stadtväter wirklich Stellgebühren einführten - sie hätten gar nicht genug Ordnungshüter, um diese auch einzutreiben. Und im Zweifelsfall wären die fliegenden Händler ohnehin schneller als die Polizei.