Zwei Flügel machen noch keinen Schlag

■ Der ANC zwischen Politik und Guerilla

KOMMENTARE

Mit ungewöhnlicher Aggressivität reagierte ANC-Vizepräsident Nelson Mandela gegenüber der Presse auf den Komplottvorwurf der Regierung. Man wolle den ANC und die Kommunisten spalten, der Vorwurf stimme nicht, alles sei blanke „Hysterie“. Die Spaltungsabsichten der Regierung sind derweil unbestritten, bekannt ist ihr Haß auf den Staatsfeind Nr.1, die Kommunisten. Daß diese nun ihr Revival feiern und mit am Verhandlungstisch sitzen sollen, will man verhindern. Dennoch ist die Konstellation nicht so einfach, wie Nelson Mandela weismachen will. Auch wenn die Regierung de Klerk Kapital aus der Horrorvision eines von den südafrikanischen Kommunisten gesteuerten Umsturzversuches schlägt: Der politische Flügel des ANC schwingt, der militärische hingegen flattert nervös. Und so kann man weder Höhenflüge starten noch wohlbehalten landen.

Offenbar weiß Mandela wirklich nicht alles, was die eigenen Militärs im nur 35köpfigen Exekutivkomitee planen. Darüber gibt es schon lange Spekulationen. Die Erklärungen des ANC -Vize muten jedenfalls befremdend an: der ANC verfüge nicht über die entsprechende Infrastruktur, um grenzüberschreitende bewaffnete ANC-Mitglieder „über den neuesten Stand der Verhandlungen mit der Regierung de Klerk zu informieren“! Dem Kommandanten des militärischen Flügels des ANC, Chris Hani, kann man hingegen eventuelle Informationsdefizite nicht zugutehalten. Er ließ in den letzten Wochen Worte wie Bomben fallen. „Wenn die Regierung nicht via Verhandlungen geht, wird der ANC mit Waffengewalt an die Macht kommen.“ Es ist bekannt, daß der ANC verstärkt Waffenlager im Land einrichtet. Und auch rechtsradikale Weiße im Untergrund und offenbar die Regierung selbst bereiten sich klandestin auf den Tag X vor.

Das Erschreckende der jüngsten Entwicklungen ist, daß nichtmal die Befürworter und Träger der Verhandlungen über eine zukünftige zivile Gesellschaft ernsthaft an sie glauben. Daß Mandela so moderat reagiert hat, auch auf die Verhaftungen von Exekutivmitgliedern seiner Organisation, liegt auch an der wachsenden Gewalttätigkeit in Südafrika. Der ungeahnte Ausbruch rasender Gewalt zwischen allen Interessengruppen der Gesellschaft - einer Gewalt, die tragischerweise die Dimension der „reinen“ Apartheid-Zeiten um vieles überschreitet - macht jede einfache heroische Geste unmöglich. Auch der ANC ist Täter. Jede zeitliche Verzögerung von Gesprächen zersetzt zudem das filigrane Geflecht zwischen den verhandelnden Interessengruppen dieser Übergangsgesellschaft. Den einen wirft die konservative Zulu -Bewegung Inkatha blutige Knüppel zwischen die Füße, den anderen setzen rechtsradikale Buren die Pistole auf die Brust. ANC und Regierung pokern sehr hoch. Vielleicht haben beide zu viel Pulver verschossen. In dessen Nebel sieht die Situation jedenfalls sehr trübe aus.

Andrea Seibel