DDR-Knast: „Hier hat das Zahnputzglas zu stehen!“

■ taz-Gespräch mit zwei DDR-Knastchefs, die sich über Bremer Anstalten, Methoden und Umgangstöne informierten

Zwei Knastleiter aus Mecklenburg/DDR waren am Freitag zu Gast in Bremen, um sich hier den offenen und geschlossenen Vollzug anzusehen und um für die Reform der DDR-Gefängnisse fremde Erfahrungen und eigene Eindrücke mitzunehmen: Ausstattung, Wohngruppenvollzug, Entlassungsvorbereitung und auch den Umgangston zwischen Bediensteten und Gefangenen.

Die taz sprach mit Jörg Spielberg, nach der Wende seit Mai 1990 Anstaltsleiter in Ueckermünde geworden (200 erwachsene männliche Gefangene bis zu 2 Jahren Strafmaß), und mit Erhard Nessler, der von sich selbst sagt: „Ich habe von der Pieke auf gedient, bin seit über 33 Jahren im Dienst, im 17. Jahr als Anstaltsleiter, vorher Studium, Heimerzieher und Hochschule der Deutschen Volkspolizei.“ Nessler ist Knastchef in Neustrelitz (120 männliche erwachsene Gefangene, Strafmaß bis 2 Jahre). Mit beim Gespräch: Hans -Henning Hoff, Anstaltchef in Bremen-Oslebshausen.

taz: Kommen Sie hier im Oslebshauser Knast auf Ideen, was in DDR-Gefängnissen reformiert gehört? Gibt es Unterschiede?

Nessler: In der Bausubstanz ist das hier vergleichbar mit Neustrelitz. Die Ausstattung ist bei uns aber anders. Wir haben Betten mit Federung. Hier hab ich harte Liegen gesehen mit Auflegern. Und sonst ist alles individueller gestaltet als bei uns...

Wenn ich in Ihren Knast käme, dürfte ich Bilder meines Liebsten an die Wand hängen, ein Radio mitbringen, Kosmetika?

Nessler: Durften Sie in der Vergangenheit nicht, aber jetzt ja.

Spielberg: Seit dem 1.7.90 gibt es die erste „Durchführungsbestimmung zum Strafvollzugsgesetz“, ohne solche Beschränkungen.

Und der Umgang mit den Gefangenen, hier und bei Ihnen?

Nessler: Unser Strafvollzug war ja militärisch organisiert. Das gerade wollten wir uns hier ansehen, wie das anders funktioniert.

Was heißt militärisch?

Spielberg: Das Preußische, wie es bei der Armee üblich ist. Die Bediensteten trugen, tragen noch, Uniform, mit streng militärischen Dienstgraden. Bei uns wurde der Strafgefangene grundsätzlich mit „Strafgefangener Meier“ angeredet, das „Herr“ ist Orientierung seit April, gesetzlich seit dem 1.7. Jetzt versucht man, daß wir uns auch selbst entmilitarisieren, legerer gekleidet gehen.

Nessler: Es wäre ein Unding bei uns gewesen, einen solchen Ordnungszustand in den Verwahrräumen wie hier: das Bett nicht gebaut... Bei uns in den Schränken, das war genau angeordnet: Hier hat die Seife zu stehen, die Zahnpasta zu liegen, der Zahnputzbecher zu stehen... Also: Ich kann aber mit dem leben, was ich hier gesehen habe! (lacht)

Wenn Sie das jetzt so witzig erzählen, Herr Nessler, warum haben Sie denn früher auf dieser Ordnung bestanden?

Nessler: Ja, warum hat man das gemacht?

Spielberg: Warum gab's die DDR, wie sie war?

Nessler: Das ist alles Preußentum, meim Militär ist das so gewesen.

Spielberg: Es sollte dazu dienen, den Gefangenen zur Ordnung zu erziehen, das war ein unbrauchbares Mitel, was man heute erkennt. Ich will aber nicht sagen, daß ich kein Verfechter von dieser Sache war.

Es ist ja nicht leicht umzustellen. Was sagen denn Ihre Bediensteten jetzt? Die Anrede ist ja noch das Einfachste.

Nessler: Bei uns gibt es keinen, der sich dagegen stellt, die meisten sind bereit, das mitzutragen.

Spielberg: Der Hauptkonflikt ist, nicht zu wissen, was morgen schon wieder anders wird.

Gibt es Drogen in DDR-Knästen?

Nessler: Noch nicht.

Spielberg: Tatsache. Die Szene ist bei uns nicht entwicklt.

Alkohol?

Beide: Nein, nein.

Spielberg: Wir sind ernsthaft da

bei, uns drauf vorzubereiten.

Nessler: Das Abschotten nach außen hatte auch Pluspunkte.

Spielberg: Wer verkauft denn schon Drogen gegen Alu -Chips?

Gibt es denn, wie hier in Oslebs, Kondome für die homosexuellen Gefangenen?

Spielberg: Wir haben vor drei Wochen zum 1. Mal überhaupt gehört, daß es so etwas gibt in den Strafvollzugseinrichtungen... Also: Noch nicht. Aber es gilt, dadrüber nachzudenken.

Nessler: Wobei ich es mir auch schlecht vorstellen kann, die aus

zuteilen...

Hans-Henning Hoff, Bremer Anstaltsleiter: Wir verteilen die auch nicht. Es gibt Stellen, wo die Gafangenen sie sich wegnehmen können. Das ist eine Maßnahme zur Aids-Prophylaxe. Früher gab es das auch nicht, erst seit Aids.

Glauben Sie denn, Homosexualität gibt es bei Ihnen nicht?

Nessler: Natürlich gibts das, natürlich.

Es gibt in Bremen eine ganze Reihe von knastbegleitenden oder -verhindernden Maßnahmen: Haftverkürzung oder vermei

dung durch gemeinnützige Arbeit, Therapie statt Strafe, Entlassungsvorbereitung...Gibt es bei Ihnen Vergleichbares zur Resozialisiertung?

Nessler: Haben wir praktiziert. Wir sprachen da von „Wiedereingliederung in das Leben“. Da wurde auch mit Zwang und Auflagen gearbeitet, das ging oft in die falsche Richtung. Wir haben Wert darauf gelegt, daß der Gefangene nach der Entlassung eine Wohnung hat und eine Arbeitsstelle...

Wie?

Nessler: Die Wiedereingliederung beginnt ja mit der Aufnahme in die Anstalt, mit dem Kennenlernen seiner Persönlichkeit und damit auch seiner ganzen Probleme. Ich war immer stolz, wenn der Gefangene bei mir am Tisch saß zum Entlassungsgespräch und ich konnte sagen 'Dort arbeiten Sie, dort wohnen Sie‘.

Spielberg: Das klappte in 98 Prozent der Fälle. Der zuständige Rat konnte einen Betriebsleiter beauftragen: Den mußt du einstellen. Da war das Problem gelöst. Das gibt es heute nicht mehr.

Was finden Sie denn hier nicht nachahmenswert?

Nessler: Da möchte ich kein Werturteil abgeben.

Spielberg: Für mich ist es befremdend, wie schwach eine Einrichtung gesichert ist. Ich bin ja erst seit dem 1.5. Anstaltsleiter, aber wenn Herr Nessler so viele Entweichungen wie hier gehabt hätte, zwei bis drei pro Jahr, würde er heute nicht hier sitzen...

Nessler, stolz: Seit fast 17 Jahren bin ich in Neustrelitz. Entweichungen: einer.

Wie ist Ihre Anstalt denn gesichert?

Spielberg: Mit Mauer, Türmen, Hunden und elektrischen Sicherheitsanlagen.

Dabei haben Sie nur Gefangene bis zu 2 Jahren Strafe... Gibt es Fluchtversuche?

Spielberg: Die moralische Wirkung auf den Gefangenen ist da: Mauer, elektrischer Signalzaun, und dahinter laufen noch Hunde. Ob das gut ist, solch einen hohen

Sicherheitsgrad, bezugnehmend auf die Strafe von bis zu 2 Jahren, ich wage es fast heute zu verneinen. Aber der Erfolg ist natürlich der, daß wenig rauskommen.

Hoff: Wenn man Resozialisierung ernst meint, müssen Außenkontakte möglich sein, Urlaube, Ausgänge. Dann wäre es unsinnig, riesige Sicherungsanlagen aufzubauen, as wäre sogar gegen den gesetzlichen Auftrag.

Nessler: Ich würde das bejahen, wenn man den Behandlungsauftrag erfüllen will oder den Re Resozialisierungsprozeß - ist ein neues Wort. Ich vertrete heute: Je mehr Technik, je straffer das System, je mehr enfremden wir uns, die Konfrontation wird größer.

Das ist eine ganz neue Erkenntnis? Oder hätten Sie in der Vergangenheit gerne etwas anders gemacht?

Nessler: Wenn es um Sicherheitsfragen ging, sag ich ehrlich, bin ich ruhig gewesen.

Hatten Sie denn Gestaltungsspielraum als Anstalts-Leiter?

Nessler: Eine bestimmte Einheitlichkeit muß gegeben sein. Aber das darf keine ständige Regelentierung sein, auch nicht des Leiters. Der Spielraum war eng.

Was hätten Sie anders gemacht, wenn Sie nur gedurft hätten?

Nessler: Ja. ... Was könnte man da anführen. (schweigt).

Spielberg: Es nützt ja auch nichts, in die Vergangenheit zu sehen und auf alles zu schimpfen.

Spielberg: Was mir übrigens, auf die Frage vorhin, hier nicht so gefällt - aber das ist wohl baulich nicht anders möglich: Die Ausspeisung der Gefangenen erfolgt hier ja auf den Zellen. Wir haben einen Speisesaal...

Nessler: Das ist ein kulturvollers Essen.

Spielberg: Im Grunde genommen unterscheidet sich der Strafvollzug in der DDR von dem in der BRD so sehr auch nicht. Die Gefangenen sind hier eingesperrt und bei uns, und die Menschen, die im Vollzug arbeiten, sind auch keine anderen als hier. Fragen: Susanne Paa