Hoffnungslosigkeit - und Kosmetik

■ Kinder aus Tschernobyl machen Urlaub in Berlin und genießen die Abwechslung / taz sprach mit Müttern und Kindern

Hermsdorf. Schmucke Villen, Kopfsteinpflaster, Grün über Grün, schicke Autos, die sich vor den Häusern drängeln. Hübsch hier, frische Luft und Badeseen, große Gärten Urlaubsstimmung. Im Lotusweg ein Willkommensschild auf Deutsch und Russisch. Es ist heiß, die Sonne brennt auf die aufgetürmten Pflaumenkuchen und läßt die Sahne schmelzen.

Hier treffen sich heute die 50 Kinder aus der unmittelbaren Umgebung von Tschernobyl, die den ganzen Juli in Ost-Berlin verbracht haben. (Insgesamt sind in diesem Sommer 2.000 Kinder aus der Region der Atomkatastrophe in der DDR.) Erst seit diesem Jahr wissen sie offiziell, daß das Gebiet, in dem sie leben verseucht, verstrahlt ist. Erst in diesem Jahr wurden auf Initiative der Volksfront Bodenproben genommen und Verhaltensmaßnahmen, an die sich ohnehin keiner halten kann, publiziert. Jetzt haben die Leute Anrecht auf 500 Rubel, wenn sie von selbst aus dem Gebiet emigrieren.

500 Rubel reichen aber nicht, denn durch die extreme Wohnungsnot ist nur ein Wohnungskauf möglich - und das würde 50.000 Rubel kosten. Also bleiben sie zu Hause, baden in den verseuchten Seen, essen ihr selbstangebautes Gemüse und lassen die Kinder auf der Wiese spielen. Etwas anderes zu essen, dafür besteht keine Chance, es gibt gar keine unverstrahlten Nahrungsmittel. Valja, eine der Mütter, erläutert die Schwierigkeit der Umsiedlung: „Der Staat gibt nicht genügend Geld, und so versuchen jetzt alle auf eigene Faust wegzukommen.“ Den wenigsten gelingt das, weil auch in der Ukraine oder in Minsk Arbeitsplätze und Wohnungen knapp sind. Und die Leute aus der 100-Kilometer-Zone haben besondere Schwierigkeiten, da keiner mit ihnen zusammenleben will. „Die meisten haben auch selber Angst, ihr Umfeld, ihr Dorf, ihre Familie aufzugeben und zu verlassen. Zusammen würden natürlich alle sofort gehen, keiner hängt mehr an diesem Land. Die einzige Möglichkeit wäre, glaube ich, wenn ganze Dörfer zusammen evakuiert werden würden.“

Aber an Evakuieren scheint die Regierung nicht zu denken, sie plant nun gar, die Betondecke über den Reaktoren zu entfernen, um die verbliebene Radioaktivität zu messen. Vorsichtsmaßnahmen, die dabei getroffen werden, muten menschenverachtend an: Frauen und Kinder sollen im September, soweit es geht, in verlängerten Urlaub geschickt werden, die Männer bleiben.

Eines der Kinder erzählt, daß sie jetzt immer in Ferienlager fahren dürfen, „ganz weit weg von zu Hause“ und daß die Schulstunden verkürzt, die Pausen verlängert wurden: „weil wir immer Kopfschmerzen haben und uns nicht so lange konzentrieren können. Und jetzt dürfen wir auch nicht mehr im Schulgarten arbeiten und Gemüse anpflanzen.“ Warum? „Na, wegen der Strahlen.“

Eine andere Mutter, aus Gomel, zwischen Tschernobyl und Minsk, hat keine Hoffnung, daß die Regierung etwas ändert: „Alles was uns hilft ist, daß unsere Kinder ab und zu mal wegfahren können. Hier nach Deutschland oder in andere Länder. Und vielleicht Pakete mit Medizin, aber ich weiß auch nicht was wir da genau brauchen.“ Aber selbst die Fahrt der Kinder ist nicht gesichert weil Spendengelder fehlen oder weil die, im Frühjahr in Weißrußland gewählte konservative Regierung einen Riegel vor die Ausreise der Betroffenen schieben könnte. Auch die Aktion der Lufthansa, die am 5. und 7. August zum ersten Mal direkt nach Minsk fliegt und dabei über 500 Kinder umsonst mitfliegen läßt, ist einmalig. Um die Aktion „Ferien für Kinder aus Tschernobyl“ weiter aufrecht zuerhalten, ist viel mehr Geld und mehr Engagement nötig.

Langsam, während sie im Garten zusammen tanzen und singen, tauen die Kinder auf. Die Kids finden Berlin toll. Die großen Häuser, die vielen Menschen, die Seen und Gärten, Fahrräder und Autos phantastisch. Toll an der Unterbringung in Ost-Berlin ist auch, daß dort die Leute häufiger russisch sprechen. Ein Mädchen, das bei einer Ostberliner Familie ist, erzählt: „Nein, ich hab kein Heimweh. Das Mädchen, bei dem ich wohne, spricht auch russisch, und wir können uns prima unterhalten, und der Pappi von ihr hat sogar in Minsk studiert und kennt sich da aus.“

Annette Weber