„Mit einem Lasso hätte ich sie einfangen können“

■ Horror am Himmel, Kerosin in der Erde: Die taz besuchte die Kleinstadt Werneuchen, über der sowjetische Tiefflieger seit Jahren „Luftkriege“ führen

Werneuchen. Wenn Hubert Thies hinter der Tankstelle auf seiner Terrasse sitzt und die sowjetischen Tiefflieger heranrauschen, kann er „den Piloten ins Gesicht gucken“. „Wie Orkane“, sagt er, stürmten die Jagdbomber vom Typ MiG 25 übers Haus, mit heftigem Wind und donnerndem Krach. Einmal, da habe eine der Militärmaschinen noch ein langes Seil heraushängen gehabt, wahrscheinlich für einen Luftsack, „da hat es uns das halbe Dach weggerissen. Früher hatten wir drei Kamine, jetzt nur noch einen.“ Die letzten Tage hatte die Familie Thies in Werneuchen ein wenig mehr Ruhe als sonst, „wegen dem Kerosinskandal“. Aber jetzt fliegen die Maschinen wieder.

Der bärtige Hubert Thies handelt mit Autos - die Geschäfte gehen nicht gerade riesig in diesem auffällig unauffälligen Flecken mit seinen 3.500 Einwohnern. Doch „der Kerosinskandal“ hat das nordöstlich vor Berlin gelegene Städtchen zu unfreiwilliger Berühmtheit gelangen lassen. Da, wo die startenden und landenden Tiefflieger aufheulen, auf dem sowjetischen Militärflugplatz am Stadtrand, ist Kerosin in die umliegenden Felder gelaufen (die taz berichtete).

„Früher“, grient Papa Thies, „haben meine Frau und ich uns nachts um zwei im Bett angeschaut, aber wir wollten gar nichts voneinander.“ Schuld an diesen spätnächtlichen Kontaktaufnahmen seien jedesmal die Tiefstflieger gewesen. „Fünf bis sieben Maschinen in einer Minute“ hat seine Ehefrau schon gezählt, „immer dienstags, donnerstags und samstags, und an einem Tag waren es mal fast 200“. Nach der Wende sei zwar ausgehandelt geworden, daß Nachtflüge nur noch bis 22 Uhr geübt werden dürften, „aber daran hat man sich nicht lang gehalten.“

Nun sausen sie also wieder durch die Nacht, die Piloten in den Höllenlärmmaschinen, lassen Infrarotkameras blitzen und meterlange Flammen aus den Düsen schießen. „Wenn ich ein Lasso gehabt hätte, hätte ich sie fangen können“, erzählen sich die Werneuchener gegenseitig Gruselgeschichten aus ihrem Leben.

SPD-Bürgermeister Walter Grabsch weiß ebenfalls eine, nämlich die von einem Absturz „vor sechs, sieben, acht Jahren“. Damals sei eine Militärmaschine „beim Landeanflug in einen Acker reingedonnert“, und daß das nicht schon öfter passiert sei, sei das „eigentlich Erstaunliche“ in Werneuchen.

„Richtig ganz schlimm, als wenn der Krieg ausgebrochen wäre“, fand ein Werneuchener Bürger, der am Stadtrand gerade sein neues Häuschen deckt, die Luftkampfübungen im letzten Jahr. Einem Nachbarn sei eine Übungsgranate durch die Garage gedonnert, die Leute hätten geschrien vor Schreck und Panik. Er selbst wohnt am Waldesrand noch „relativ ruhig“ und kennt die Geschichten von den Tiefstfliegern mehr vom Hörensagen: „Manche haben schon mal auf'm Feld die Sense weggeschmissen, weil die so tief gekommen sind.“

Dafür aber weiß er genau, wo das Kerosin so malerisch in der Erde schwappt. Staubtrocken ist die Johannisbeerplantage, auf die er die Fremden führt, doch in der Nähe des Militärgeländes zeigen sich plötzlich kleine Pfützen. Tot und grau ragen ganze Reihen der einjährigen Beerenbüschelchen in die Luft, umspült von Kerosinduft. In einem breiten Erdloch schimmert das Wasser ölig mild in allen Farben.

Die Gemeinde befürchtete also Schlimmstes: das Verseuchen von Werneuchen durch undichte Kerosintanks auf dem Flugplatzgelände. Um die Kontamination genauer messen und eingrenzen zu können, sollten schon am Montag vor einer Woche im Rahmen einer Expertenanhörung Bodenproben auf dem sowjetischen Territorium gezogen werden. Eine gemeinsame deutsch-sowjetische Besichtigung der aus den sechziger Jahren stammenden Erdtanks war ebenfalls vereinbart. Doch der Vertreter des sowjetischen Oberkommandos stellte sich zunächst quer. In die militärischen Geheimnisse auf seinem Hoheitsgebiet, zu denen offenbar auch der Brennwert des dortigen Mutterbodens zählt, wollte er sich nicht schauen lassen. Erst bei einem neuerlichen Treffen am vergangenen Freitag wurden sich die Herren, inklusive Vertreter des Außen- und des Umweltministeriums der DDR, einig. Das gesamte Gelände rund um die verdächtigen Tanks soll nun in einem Untersuchungsraster erkundet und, wenn verseucht, abgetragen werden. Morgen findet dazu ein weiteres Expertentreffen statt.

Und das Tieffliegerproblem? Auch ohne Kerosin werden die Bewohner wohl weiter Putz machen, wenn ihnen immer wieder der Putz von der Decke fällt. „Unser SPD-Landrat ist ja sehr optimistisch“, sagt Bürgermeister Grabsch, „er glaubt, daß wir den Flugplatz in einem halben Jahr wegen der Kerosingeschichte geschlossen haben. Aber ich kann daran nicht so recht glauben. Ich bin halt ein paar Jahre älter und vorsichtiger“.

Ute Scheub