„Ein totes Jahr“

■ Lutz Heßlich, Olympiasieger im Radsprint 1980 und 1988 sowie fünfmaliger Weltmeister

INTERVIEW

taz: Sie waren ja wohl mit dem Boykott einverstanden. 1984 stand in DDR-Zeitungen eine Äußerung von Ihnen: „Der Boykott ändert nichts daran, daß wir Sportler weiterhin hohe Leistungen zu Ehren unserer Republik erbringen wollen.“

Lutz Heßlich: Ich habe meine Meinung auch erst aus der Zeitung erfahren. Ich saß im Flugzeug nach Moskau und bekam das 'Neue Deutschland‘ von der Stewardeß. Meinem Protest im Klub gab der Parteisekretär nach einer Woche nach und bot ein öffentliches Dementi an. Aber da fehlte mir dann der Mut, weil es das Ende meiner sportlichen Laufbahn bedeutet hätte.

Wie dachten Sie denn wirklich über den Boykott?

Vier Jahre lang hatten wir uns auf diesen Höhepunkt vorbereitet, auf alles verzichtet. Und dann bleiben die ersehnten Erfolge aus. Das war ein totes Jahr für uns. Wir Sportler sind eben immer nur Objekt der Politik, im Guten wie im Schlechten. Und das war das Schlechteste, was mit mir passiert ist.

Haben Sie den Radsprint von Los Angeles verfolgt?

Ich war im Trainingslager. Das Finale habe ich im Fernsehen gesehen. Mit Tränen in den Augen. Der Amerikaner Matt Gorski hat dort gewonnen, fuhr fast eine halbe Sekunde langsamer als ich kurze Zeit später in Moskau. Der kam dann im Herbst nach Europa und hat gegen mich nur verloren. Ich fühlte mich immer als der Olympiasieger, aber er hatte meine Medaille.

Hagen Boßdorf