Der letzte Großösterreicher ist tot

■ Altbundeskanzler Bruno Kreisky starb gestern im Alter von 79 Jahren an Herzversagen

PORTRAIT

Aus Wien Michael Siegert

Bruno Kreisky lebte die Einheit der Gegensätze: Ein Mann, der Marx gelesen hatte und doch eine Politik im Sinne englischer Labour-Pragmatiker machte - völlig unideologisch; ein Jude, der sich für die Palästinenser einsetzte; ein prononcierter Westler, der die Neutralität praktizierte; ein Intellektueller, der mit Arbeitern reden konnte; ein Kernkraftbefürworter, der ein fertiges Atomkraftwerk zur Abstimmung stellte und gemäß dem Volkesspruch stillegte (Zwentendorf 1978).

Seine Vorfahren in der mährischen Stadt Brünn waren Industrielle der ersten Generation. Wie die Familien von Sigmund Freud oder Karl Kraus verlegten auch die Kreiskys ihren Wohnsitz in die damalige Reichshauptstadt Wien. Und wie viele junge Juden in dem zerfallenden Reich zweifelte Bruno Kreisky am Weg seiner Altvorderen und schloß sich der Arbeiterbewegung an.

Er hatte zu wählen zwischen Karl Renner und Otto Bauer dem Pragmatiker und Opportunisten auf der einen und dem Ideologen des Austromarxismus auf der anderen Seite. Mit Händen und Füßen war er auf Renners Seite, mit dem Kopf bei Otto Bauer. Als Bauer in den 30er Jahren in einem „integralen Sozialismus“ mit den Kommunisten zusammenleben wollte, agitierte Kreisky instinktiv gegen jede Einheitsfront mit der KP in der Illegalität. Während andere Führer der Sozialdemokratie in der Haft schwach wurden, trat er mit einer brillanten Verteidigungsrede als Ankläger des Regimes auf. Nach der Emigration in Schweden hatte er es schwer, wieder in die österreichische Politik einzusteigen. Die Bodenständigen, die ihren Kompromiß mit dem Hitlerregime gemacht hatten, wollten keine lästigen Mahner. Der „Wiener Kreis“ der neopositivistischen Philosophie, die Psychoanalyse - sie alle blieben draußen. Nur der Anpasser und Pragmatiker Kreisky bekam eine Chance - und er nutzte sie.

Zunächst hängte er sich an den rechten Flügel, machte Karriere unter den Renner-Nachfolgern Helmer und Olah. Der Ausschluß des mit autoritären Neigungen behafteten Innenministers und Gewerkschaftschefs Franz Olah brachte der SPÖ die Wahlniederlage von 1966 und den Zerfall der großen Nachkriegskoalition. Kreisky führte die Partei mit Olahs Programm aus der Opposition 1970 in die Alleinregierung. Die FPÖ, damals noch als Partei der Exnazis stigmatisiert, half Kreisky durch anderthalb Jahre Minderheitsregierung in die absolute Mehrheit von 1971, die bis 1983 währte.

Kreisky trat ab und wählte aus dem Geschlecht der politischen Zwerge, die er gerade noch neben sich duldete, den willfährigsten: Fred Sinowatz schloß 1983 die kleine Koaltion mit der rechtsgewirkten FPÖ, die nach dem Scheitern dieses Modells Mitte der 80er Jahre mit Jörg Haider einen österreichischen Le Pen gebar. Dafür fühlte sich der Pensionär von Mallorca aber nicht mehr verantwortlich.

Wer ihn in seinem sonnigen Ferienhaus mit Blick auf das Mittelmeer besuchte, der hörte ein dunkles Grollen über seine mißratenen Zöglinge in der Partei wie Hannes Androsch („Korruptionist“) und Franz Vranitzky („dieser Laffe aus der Wechselstube“). Vranitzky kämpft jetzt mit dem Rücken zur Wand. Seit letzter Vorteil ist, daß er zur Zeit noch weniger an Haider verliert als die christdemokratische ÖVP. Kreiskys Stil war nicht die Postmoderne, sondern der Heurige in der Probusgasse gegenüber seines Hauses in Wien-Grinzing, wo gestandene Mannsbilder bei einem Vierterl Wein ihre Bündnisse schlossen.