Beim Thema Wirtschaft beginnt das Stochern im Nebel

■ Sozialistische Marktwirtschaft versus erneuerter Planwirtschaft oder die neulinke Verdrängung des Scheiterns realsozialistischer Wirtschaftspolitik

„Ich verstehe die Diskussion so, daß wir Marktwirtschaftler sind“, sagt eine junge Frau. Sie hat den Satz kaum beendet, da äußert sich am Samstag zum ersten Mal so etwas wie massiver Protest, zumeist in Form von Gelächter, ist doch diese Aussage den meisten im Saal Beweis genug, daß die Zwischenruferin nichts kapiert hat. Doch die gibt nicht nach: „Die Frage ist, ob wir uns hier in eine Richtung sozialistische Marktwirtschaft konsensual verständigen können.“ Die Anwesenden können und wollen es nicht. Vokabeln „wie sozialistische Marktwirtschaft oder demokratischer Kapitalismus haben in unserem Programm nichts zu suchen“, sagt einer, der sich als „Kölner Metaller“ vorstellt. Für ihn ist die Standortbestimmung linker Politik ganz einfach: „Links ist, was den Arbeitern nützt.“

So leicht wollten es sich die meisten zwar nicht machen, aber zu der Frage, wie eine sozialistische Wirtschaft denn zu organisieren sei, gab es noch nicht einmal die richtigen Fragen, geschweige denn Lösungsansätze. Zwar machte Jürgen Bischoff von der Zeitschrift 'Sozialismus‘ die „fundamentalen Konstruktionsmängel der Planwirtschaft verantwortlich für den Zusammenbruch“, doch ob und wie die künftig abzustellen seien, war kein Thema. Stattdessen gab es stundenlange Debatten über die katastrophalen sozialen Auswirkungen, die sich durch die Einführung der Marktwirtschaft in der DDR ergeben. Da waren sich die West -Linken schon wieder ganz sicher. Über die desaströsen Ergebnisse der östlichen Planwirtschaft wurde dagegen wie über eine Nebensächlichkeit hinweggegangen. Daß die Umweltverschmutzung pro Kopf der Bevölkerung im Osten um ein Vielfaches höher ist als im Westen, bei einem Lebensstandard der weniger als die Hälfte des westlichen ausmacht, räumt zwar inzwischen jeder Ost-Ökonom ein, nur die westdeutsche Linke mag davon nichts hören.

Während die Opfer der Marktökonomie in den schrillesten Farben beschrieben werden, waschen die West-Linken bezüglich der Opfer der Planökonomie ihre Hände in Unschuld, denn, so einer, der sich als Arbeiter von Salzgitter vorstellte, die Planwirtschaft und der Marxismus seien „durch falsche Anwendung in Mißkredit gebracht“. Da ist selbst die PDS weiter, ganz zu schweigen von Gorbatschow, der ja auch schon dem „Marktsozialismus“ das Wort redet. Wer die Planökonomie am eigenen Leib erfahren hat, ist gegen Selbstbetrug möglicherweise eher gefeit, als ein großer Teil der BRD -Linken.

Es war eine PDS-Frau, die am Samstag die Versammlung noch schüchtern bat, doch darüber nachzudenken, „daß der Kapitalismus unter gewissen Bedingungen möglicherweise mehr leisten kann“ als andere Systeme. Michael Stamm, soeben aus der GAL ausgetreten und vehementer Verfechter des neuen Bündnisses, raümte die zentrale Schwäche der neuen Formation immerhin unumwunden ein: „Es gibt das Problem, zuzugeben, daß wir über die ökonomische Gestaltung einer nicht kapitalistischen Wirtschaft bestenfalls Bruchstücke entwickelt haben.“ Im Aufruf der Initiative ist dann aber in großen Worten davon die Rede, daß man gegen den „Vernichtungsfeldzug“ gegen die „sozialistische Idee in ihrer Gesamtheit“ kämpfen wolle und an den Zielen „einer demokratischen, herrschafts- und ausbeutungsfreien Gesellschaft festhalten“ wolle.

Mit diesen hehren Ansprüchen ist noch jede linke Kraft angetreten. Schon im Kommunistischen Manifest wurde die freie Assoziation beschworen, wobei „die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller“ sein sollte. Inzwischen gibt es reichlich empirische Befunde linker Politik, wobei die neue linke Formation im Angesicht des totalen Scheiterns der Planökonomie antritt. Wer sich darüber - wie in Köln geschehen - mit einigen Nebensätzen hinwegsetzt, sollte seiner Elterngeneration nicht Verdrängung vorwerfen. Die verniedlichende Art, wie Heinrich Eckhoff, einer der Initiatoren aus dem Hamburger KB, diese neulinke Verdrängung überspielte, war symptomatisch für den Kongreß: Man müsse zur Kenntnis nehmen, daß die „Planwirtschaft so nicht funktioniert“, aber „irgendowo wollen wir doch dahin“. Jetzt müsse man schauen, „was da noch zu retten ist“.

Walter Jakobs