Frieden an den Wühltischen

■ Sommerschlußverkauflust verhalten: Volk streicht kritisch um Ramschangebote

Sommerschlußverkauf: Verkehrschaos, berstende Straßenbahnen, Menschen schieben sich Bauch an Rücken durch Kaufhäuser, schubsen, stehen in Trauben auf Rolltreppen und an Wühltischen, zerren sich gegenseitig die Plünnen aus den Händen, warten mit Schweißperlen auf den Stirnen in langen Schlangen vor Kassen und Kabinen.

Nichts von all dem gestern, dem ersten Ausverkaufstag in Bremens City. Sind die BremerInnen alle in Urlaub? Oder saßen sie im Sonnentop vom vergangen Jahr auf dem Balkon? Oder haben sie es etwa gar nicht nötig?

Gestern vormittags tummelten sich nicht mehr Leute auf der Obernstraße als an einem normalen verkaufsoffenen Samstag. Die feinen BremerInnen wissen sich eben zu benehmen. Sie wissen, was sie suchen. Man sieht in allen Kaufhäusern: Sie lassen sich Zeit und vergleichen Preise, lassen die bedruckten T-Shirts für

9,95 Mark liegen, weil sie nach der ersten Wäsche hin sind. Und sie kaufen nicht die von schlechten Nähten und herabbaumelnden Knöpfen verunzierten Hemden. Und mit den Herren-Blazern für 27 Mark haben sie schlechte Erfahrungen gemacht. Da steht er vom Stuhl auf und ist eine einzige Knitterfalte! Schließlich ist auch die Bundfalten-Sommerhose für 35 Mark vom letzten Jahr schon in die Altkleidersammlung gewandert.

Riskante Badeanzüge

Fünf Paar Socken für vier Mark gab es im letzten Jahr auch, die sind noch nicht verschlissen. Blümchenkleider aus Polyester für 25 Mark beleidigen das Auge, Pullover aus Polyacryl das tastende Händchen, und wer will schon das Risiko auf sich nehmen, mit

einem Badeanzug für 14,90 Mark ins Wasser zu steigen?

Die Sonnen-Tops für 6,95 sind so weit, daß der Tischnachbar im Straßencafe auf der anderen Seite wieder herausgucken kann. Lieber nicht. Geschickt dazwischen plaziert - die neue Herbstmode. Sie läßt Böses ahnen. Noch ein Jahr muß die modebewußte Welt mit diesen schmierigen Herbstlaubfarben leben.

Ramschläden, veredelt

Die Kaufhäuser wissen, warum sie das Werbekonzept des Understatement gewählt haben. Erst einmal würde alles andere dem neuen Stil der Häuser widersprechen. Haben sie sich nicht gerade für mehrere Millionen Mark veredelt, um das Ramschladen-Image loszuwerden? Da hängen wie abgesprochen überall dezente

kleine Transparente von den Dekken, die sich nahtlos in das feine Ambiente einfügen und gar nicht weiter auffallen. Schließlich soll keine merken, daß die Preise nur da baden gehen, wo die Qualität gleich mit untergeht.

„Also diese Gwalidäd!“

Haben das die BremerInnen etwa geahnt? Konnten sie deshalb leichten Herzens das Feld räumen und Platz machen für Einkaufstouristen? Ein junges Paar aus der Schweiz ist begeistert: „Wenn wir das gewußt hätten, hätten wir gar cheine Chleider von zu Hause mitgenommen!“ Eine Dame, die erschöpft mit vielen Tüten an der Straßenbahnhaltestelle steht, sagt: „Wir sind aus Dresden zu Besuch, also diese Gwalidäd und diese Breise, gar gein Vergleisch, wissen Sie.“ Beate Ram