Aufbruch in Bremens 3. Zeitalter?

■ Bildungssenator Henning Scherf über seine „neue Philosophie der Stadtentwicklung“ / Im Gespräch mit Uta Stolle und Manfred Dworschak

hierhin bitte das Foto von

dem lächelnden Mann

Henning Scherf

Mit einer „ganzen Latte“ von kulturpolitischen Projekten und Geld- und Stellenforderungen zieht dieser Tage Henning Scherf in den Gesprächsring mit Bürgermeister Klaus Wedemeier und Finanzsenator Claus Grobecker. Gleichsam in einem Mantelpapier „Bremen in der Republik Deutschland“ begründet Scherf nach seiner halbjährigen Einarbeitungsphase sein Projektpaket mit der Notwendigkeit zu einer „neuen Philosophie der Stadtentwicklung“. Ohne sie werde das bremische Gemeinwesen in drastisch veränderter Lage nicht überleben. Die taz fragte nach. taz: Sie beschreiben in Ihrem Papier eine verschärfte Konkurrenz um gesamtstaatliche und europäische Gelder, die Bremen nur besteht, wenn es seine „endogenen Faktoren“, sein „unverwechselbares Profil“ verkauft, wenn es „auf dem Fundament historisch gewachsener Strukturen das Bild einer mulitkulturellen Stadtgesellschaft entwickelt.“ Diese „völlig neue Philosophie der Stadtentwicklung“, unter der es für Sie nicht geht, ist die das, was Sie hier in den drei Punkten zur Bildungs, Forschungs- und Kulturpolitik vorlegen? Oder geht Ihre kleine Utopie darüber hinaus?

Henning Scherf: Das ist ein Anfang, eine freundliche Bitte, da mitzudenken. Man muß eine nüchterne Einschätzung haben. Die großen Rahmenbedingungen bremischer Weiterentwicklung sind ganz heftig dadurch verändert, daß noch in diesem Jahr fünf Länder dazukommen, die ganz schwach strukturierte und sehr viel ärmere Länder sind. Da kommt ein großer Handlungsbedarf aller über die Länder hinausgehenden Finanzierungen. Da werden alle eigenen Planunge in Frage gestellt. Das trifft auch ganz zugespitzt Bremen. Wir mit unserer hohen Verschuldung werden ohne Hilfe von außen gar nicht mehr vorankommen. Wenn man alles Geld bremischen Haushaltens in die traditionelle Industriepolitik hineininvestieren würde, kann man es nicht aus eigenen Mitteln schaffen.

Wir schaffen es nur, daß Bremen nicht abgehängt wird, wenn wir uns mit überregionalen strukturpolitischen Strategien verbünden. Das wird jetzt erheblich wei Foto: Jörg Oberheide

ter zugespitzt durch die DDR. Und auch durch den großen Handlungsbedarf in Osteuropa, der jetzt sichtbar wird. Wie stellen sich nun die Bremer zu der neuen Lage. Halten Sie an den traditionellen Industriearbeitsplatz- und Subventions -Strategien fest und sagen: Jetzt erst recht, nicht nur eine Mark auf jede Bremer Mark drauf, sondern fünf Mark drauf. Oder sind wir imstande, eine diffferenzierte Antwort zu finden?

Wo führt Ihre große Linie hin?

Das kann man am besten entwickeln, wenn man sich die bisherige Philosophie klarmacht. Weil wir am Wasser liegen, ist es über die Jahrhunderte einträglich gewesen, Menschen und Güter zu fahren. Dann ist irgendwann die Industrialisierung über Bremen gekommen, und man hat nicht nur Schiffe benutzt sondern selbst gebaut. Die späte Industrialisierung ist immer auch mit Rüstung verbunden gewesen. Auch die Werften sind am größten gewesen, als es darum ging, die Weltkriege vorzubereiten, und wir haben immer noch einen ungewöhnlich großen Anteil an Rüstungsarbeitsplätzen. Und nun bricht über das so balancierte Gemeinswesen nicht nur das Öffnen der Grenzen zum Osten, es bricht auch zur gleichen Zeit die Rüstungsindustrie ein. Das ist doch klar, daß das eine Fehlinvestion ist, auf die Zukunft gesehen. Und nun muß nach diesen beiden Phasen, Handelsplatz, Industrie mit Rüstungsschwerpunkt, eine dritte Perspektive entwickelt werden. Nicht von mir und nicht von heute auf morgen, aber längerfristig. Da möchte ich gerne die Internationalität anknüpfen, die auch, soweit man davon sprechen kann, die Identität der Stadt geprägt hat.

Man ist hier nicht etwas Landesherrliches gewesen, sondern man war ein internationaler Platz. Nicht so interkulturell, wie ich mir das wünsche. Aber es war ein Stück liberaler als anderswo und auch nicht so uniformiert, es war immer eher zivil. Die ganze liberale Senatsstruktur über die Jahrhunderte was immer eher zivil. Das ist eine Chance.

Wenn Sie aus hier aus dem Fenster sehen, ernüchtert Sie das nicht? (Gemeint sind die neuheimatlichen Anfangs- und Endbebauungen des per Widerstand vereitelten SPD-Projekts, der Mozarttrasse).

Das ist ja ein Torso geblieben. Dahinter stand ja damals die Philosophie, hinter der nicht nur Richard Boljahn, sondern der ganze Senat und die Verwaltung stand: Großstädte haben nicht nur Wohnquartiere am Rande, sondern gute, schnelle Autoverkehrssysteme, und dann mußte da son bißchen Hochhausähnliches drangesetzt werden, damit das so aussah wie die beneideten downtowns in den USA. Das ist zu Ende gegangen 1971, da haben wir den Antimozarttrassenbeschluß gefaßt. Seitdem ist diese Art von Philosophie diskreditiert.

Aber es gab noch jüngst den Abriß des Senatsgästehauses, ei

ner bürgerlichen Villa aus der Tradition, an die sie anknüpfen wollen. Aber erstmal wird weggemacht, weiter, und Sie sind da nicht aufgetreten als einer, der das realisiert, was Sie hier in schönen Worten entwerfen.

Ich will mich ja auch nicht in so relativ marginalen Geschichten wie ein Eiferer qualifizieren. Sondern ich möchte gern einen politischen Beratungsprozeß mit vorantreiben'der nicht die Empfindlichkeiten von sowieso Privilegierten im vorderen Schwachhausen meint, sondern der die ganze Stadt erreicht in ihrer Breite, mit all ihren Ängsten. Ich möchte mich an der Anstrengung für eine neue, hoffentlich klare Philosophie für diese Gebietskörperschaft beteiligen.

hierhin bitte den Mann

in Klein, Nr.1

Wenn die Stadt Bremen durch alle möglichen Fehlschläge in einer Lage ist, in der ziemlich entschiedene, originelle, phantasievolle Konzepte benötigt werden, was wäre denn so eine? Lassen Sie sich zu etwas Kühnheit ermuntern.

Gut, in der taz macht sich das immer besser, wenn etwas grotesk überhöht wird. Ich möchte aber nicht in der Groteske verkommen, sondern einen Verständigungsprozeß fördern, der überhaupt noch nicht angefangen hat; möchte dabei so realistisch wie möglich vorgehen. Ich will Ihnen da gern ein Beispiel sagen. Die Universität. Wir haben ja Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre bei der Gründungsgeschichte - ich habe die ja selber mitgemacht - so etwas wie nationale Aufmerksamkeit gehabt. Wir sind ja hier die Neugründer gewesen und haben mit ausgesprochen unkonventionellen und oft schwierigen Leuten und Planungsprozessen diese Uni gegründet. Es hat sich herausgestellt, zum großen Teil von innen schon, daß das so nicht tragfähig ist. Aber wir waren damals ja auch jeden Tag in den Medien, die FAZ hatte einen eigenen Redakteur abgestellt. Wir waren für eine entsetzte bundesrepublikanische Gesellschaft das Beispiel, wie man es unter keinen Umständen machen darf. Das hat leider dazu beigetragen, daß sich ein Großteil in Bremen abgewandt hat von der Universität.

Auch von dem Projekt, mit Großinvestitionen in dieser Stadt in eine andere Dienstleistungsstruktur, eine andere Kommunikationsstruktur hineinzukommen. Das steckt ja immer hinter solchen Dingen. Und nun hat sich in den letzten 15 Jahren, von der Öffentlichkeit gar nicht so beobachtet, dieses Gebilde gewaltig verändert, eindrucksvoll verändert und eine ungewöhnliche Tätigkeit entwickelt. Wir haben ungefähr 60 Kongresse, internationale Kongresse im Jahr in der Universität. Es ist ein Trugschluß zu glauben, daß die Kongreßtätigkeit Bremens durch die Hafa charakterisiert ist! Das ist eher eine traditionelle, freundliche, harmlose Möglichkeit, sich darzustellen. Das hat überregional überhaupt keine Bedeutung.

hierhin bitte Nr.2, Mann

Die Universität hat, auch nicht richtig wahrgenommen von der Wirtschaftsverwaltung, eine große und wachsende internationale Kooperation entfaltet. Wir werden in der Welt nicht nur als Hafenplatz wahrgenommen, wir werden in wachsendem Maße auch als ein Platz wahrgenommen, wo, ohne die Last der traditionellen Universität hinter sich herzuschleppen wie einen Anker, ganz ungewöhnliche Leute miteinander zu tun haben. Das muß seinen richtigen politischen Stellenwert bekommen, das kann nicht nur eine Sanierungsvariante für riskante Gründungsinvestionen sein.

Sie sagen, wenn ich recht verstehe, daß die Uni durch die Umsteuerung Ihres Vorgängers von Sozial- und Geisteswissenschaften zur Naturwissenschaften eine gute Basis für Bremens dritte, die Dienstleistungsperiode entstanden ist. Was bedeutet dann aber ein so schmückender Satz in Ihrem Papier wie: „Gleichzeitig ist aber erkennbar, daß die Naturwissenschaften zunehmend die Geistes- und Sozialwissenchaften zur Weiterentwicklung benötigen.“

hierhin Mann Nr 3

Hier ist eben nicht eine Technische Universität zufällig neben eine geisteswissenschaftliche auf

das gleiche Gelände gebaut worden. Sondern der Witz ist, daß sie miteinander verzahnt sind. Wenn Sie sich die Leute in der Grundlagenforschung angucken, dann stecken sehr kritische Leute dahinter.

Ich habe das bei Herrn Hempel gelernt, dem Leiter des Alfred-Wegener-Instituts, unserer bisher einzigen Großforschungseinrichtung, bisher, es kommen ja weitere. Er ist der einzige Bremer im Wissenschaftsrat, der Sprecher aller Großforschungseinrichtungen, ein ungewöhnlich wichtiger Mann, bloß von der Bremer Öffentlichkeit überhaupt nicht wahrgenommen. Er hat dieses Institut mit über 400 Wissenschaftlern, er hat bei Null angefangen, inzwischen auf ein ganz neues Grundsatzthema eingesteuert. Die sind nämlich inzwischen bei „Global Change“ als Grundlagenforschungsprojekt angelangt. Die sind einige der ganz wenigen Schaltstellen auf dem Globus, wo mit dem Ausgangspunkt Polar, Arktis und Antarktis, dem Schiff und den Stationen, die sie da haben, ein für die gesamt bewohnte Welt wichtiger Platz geworden, der Informationen sammelt und aufarbeitet für die globalen, großen Änderungsbewegungen. Daraus hat er jetzt entwickelt ein Institut über Tropenökologie. Das ist kein abgehobener Elfenbeinturm naturwissenschaftlicher Orientierung.

hierhin den Mann Nr.4

Das ist ein ganz kritischer, mit sehr vielen geopolitischen Ansätzen verzahnter Ansatz. Ich möchte an der vorhandenen Forschungs- und Lehrtätigkeit ansetzen und weitere Ausbaubereiche nach Bremen holen.

Mein Problem ist, daß ich aus einer Mittellage der landespolitischen Bedeutung dieser Projekte in eine Spitzenlage muß, sonst kriege ich die nicht her. Die Max -Planck-Gesellschaft und die Fraunhofer-Gesellschaft, die haben kein Geld über, und wenn die welches überhaben, müssen die in

die DDR gehen und in den Ostblock hineingehen. Die laufen einem nicht die Tür ein, die werfen die letzten Türen zu, weil in den nächsten 10 bis 20 Jahren nur noch was in der DDR und in Osteuropa passieren kann.

Sieht die Priorität der zusätzlichen Investionen, die Sie wollen, so aus: erstens Forschungspolitik, da Anreize für Drittmittel schaffen, zweitens: Kultur Kunstpolitik und drittens Schulpolitik, wo der status quo gehalten werden soll?

Es ist richtig, daß die großen Forschungsprojekte, auch die, die mit angewandten Forschungen und mit Beratung zu tun haben, die eigentliche großen Arbeitsplatzbeschaffer und Entwicklungsgaranten für die nächste Generation werden. Wir werden von einem großen Hafenplatz zu einem großen Werftenplatz zu einem wissenschaftlichen Dienstleistungszentrum werden. Aber das geht nicht abgehoben. Aber die großen Projekte gehen alle nur, wenn die Lehrtätigkeit damit verzahnt ist.

hierhin Mann Nr 5