Bonn schiebt S-Bahn aufs Abstellgleis

■ Senat gegen Zimmermanns Eisenbahnpläne / Reichsbahn und Bundesbahn sollen nicht getrennt arbeiten / Berliner S-Bahn ohne Bonner Finanzbeteiligung will die Stadt „nicht akzeptieren“

Berlin. Gerät die ehemalige Eisenbahnmetropole Berlin nach der Wiedervereinigung auf ein totes Gleis? Diese Furcht plagt den Westberliner Senat, seit der Plan von Bundesverkehrsminister Friedrich Zimmermann (CSU) bekannt wurde, Bundesbahn und Reichsbahn auch im geeinten Deutschland als getrennte Unternehmen zu betreiben. Für Staatssekretär Klaus Groth von der AL-geführten Senatsumweltverwaltung ist es „außerordentlich problematisch“, wenn die marode Reichsbahn eigenständig existieren muß. Während die Autobahnplaner ihre Betonschneisen bald gesamtdeutsch planen könnten, werde die Reichsbahn mit leeren Taschen dastehen. In einem Brief an den Bonner Umweltminister Töpfer hat Groth gestern die Bedenken des Senats gegen das Vorhaben formuliert, das Zimmermann im zweiten Staatsvertrag zwischen Bonn und Ost -Berlin festschreiben will.

„Wir sind die Hauptbetroffenen“, warnt der Westberliner Staatssekretär. Geht es nach Zimmermann, wird ganz Berlin dem Reichsbahnsektor zugeordnet. Und als wäre das noch nicht genug, soll einer künftigen Gesamtberliner Stadtregierung auch noch die Alleinverantwortung für den S-Bahn-Betrieb aufgebürdet werden. Berlin wäre damit die erste Großstadt im Bundesgebiet, in der der Bund nicht über die Bundesbahn am Betrieb und der Finanzierung des S-Bahn-Netzes beteiligt wäre.

Würden Zimmermanns Pläne Realität, hätte die Stadt zwar das Recht, die S-Bahn nach eigenem Gutdünken zu lenken - aber kein Geld, um den Bahnbetrieb zu finanzieren. 1990 kam die S -Bahn allein in West-Berlin auf ein Defizit von 170 Millionen DM; in Ost-Berlin würde der S-Bahn-Betrieb selbst bei Westtarifen jährlich 600 Millionen Miese machen. Hinzu kommen etwa 6,5 Milliarden Mark, die nach Schätzungen des Senats in den nächsten Jahren in West- und besonders Ost -Berlin investiert werden müssen.

Freilich könnte sich der Senat auf elegante Weise des Problems entledigen und die S-Bahn-Hoheit ohne viel Federlesens an Bonn beziehungsweise die Reichsbahn übertragen. Nach dem Grundgesetz liegt die Verantwortung für den Eisenbahnverkehr nämlich einzig und allein beim Bund. Das Problem bei dieser Problemlösung: Die Stadt hätte keinen Einfluß mehr auf die S-Bahn - und von den 1.800 Beschäftigten, die im BVG-Bereich „S-Bahn“ arbeiten, sind massive Proteste zu erwarten. Deshalb dürfte der Senat vor diesem Weg vorerst zurückschrecken.

Am nächsten Dienstag will sich der Senat mit der Zukunft der S-Bahn befassen. Die Verhandlungen mit Zimmermanns Beamten haben schon begonnen. Dabei dürfte auch ein Punkt im bisherigen Entwurf für den Staatsvertrag zur Sprache kommen, der nach Groths Meinung „das Dreisteste“ an den Bonner Plänen ist. Zimmermann will zwar der Reichsbahn die Eisenbahnhoheit über West-Berlin verschaffen; gleichzeitig soll aber das Vermögen, das die Reichsbahn früher im heutigen West-Berlin hatte und das heute von der Verwaltung des ehemaligen Reichsbahnvermögens (VdeR) bewirtschaftet wird, direkt dem Verkehrsministerium unterstellt werden. Die Gleisanlagen und Immobilien, insgesamt 550 Hektar mit einem geschätzten Wert von zwei Milliarden DM, sollen einem Zimmermann zugeordneten „Sondervermögen“ zugeschlagen werden. Den Berliner Planern gingen potentielle Grün- und Gewerbeflächen verloren, und die künftige gesamtdeutsche Regierung hätte ihren Daumen auf riesigen Flächen - mitten in der designierten Hauptstadt.

hmt