Magie im Grobkornfeld

■ Eine Ausstellung mit fotografischen Erscheinungen in der Galerie Bilderdienst

Nacht in Livorno. Nicht ganz so schwarz wie der Himmel zieht sich eine Häuserzeile in einer leicht ansteigenden Schräge hin. Aus einigen Fenstern dringt Licht. Der Platz, auf dem die Häuserzeile endet, ist von zwei Straßenlaternen erleuchtet. Eine ruhige, normale Nacht in Livorno auf einem normalen Foto, Motiv „italienische Melancholie“.

Wenn da nicht dieses komische Gebilde schwerelos über den Häusern hängen würde. Es schwebt in der Luft: ein großer, weißer Punkt, nein, kein Punkt, es ist eigenartig konturlos, verschwimmt an den Rändern, eher ein greller, dynamisch auslaufender oder von innen her explodierender Fleck. Der scheint von weit her zu kommen, jedenfalls geht von ihm eine Leuchtspur aus, zieht sich nach hinten gegen den Horizont in enger werdenden Kreisen; über den Dächern am Firmament, da oben, da dürfen doch nur die Sterne sein, deren Zahl gerade mal der Herr kennt, denn der hat sie aufgehängt: als Laternen der Nacht.

Dies ist eins von neun merkwürdigen, nicht ganz geheuer erscheinenden Fotos. Sie hängen in der Galerie Bilderdienst unter dem Namen Unruhige Bilder bei Nacht. Obwohl, „hängen“ ist nicht recht gesagt, und Fotos sind es im eigentlichen Sinne des Wortes auch nicht, vielmehr auf Folie reproduzierte Fotos, die vor Leuchtschirmen geklebt sind solche Sorte von Leuchtschirmen, wie man sie beim Arzt hat, Röntgenaufnahmen anzuschauen: einen Blick auf die Lunge werfen, den Bruch im eigenen Schienbein. Solche Leuchtschirme sind seriös, der ganze Charme eines Sprechzimmers hängt daran mit allen Facetten solider Wissenschaftlichkeit. Man hört bei diesen Leuchschirmen die vertraute Stimme des Hausarztes mit den schütteren weißen Haaren, der dir anhand der Röngenaufnahmen sagt, was in deinem Körper los ist und: Du kannst ihm vertrauen.

Aber bei diesen Fotos hilft alle diese Durchleuchtung nichts. Seltsames passiert da, Ufos scheinen das Himmelsgewölbe zu kreuzen, Lichter irren auf schwarzem Grund. Überall ein Geheimnis. Da rast über einen See, an dem eine von heftiger Vegetation umrahmte Südstaatenvilla steht

-bestes Vom Winde verweht -, eine nach hinten spitz zulaufende Kugel, zieht einen Schweif mit sich und könnte als der Schatten eines fliegenden Spermatozoons durchgehen: wären die so groß und könnten fliegen. Können sie aber nicht. Oder der Himmel über den verwischten Lichtern einer Großstadt: vier ovale Formen von in sich gebündelter Helligkeit, die nicht abstrahlt - als hätte da einer reingestanzt mit einem Locher und ein starkes Licht dahinter gehalten.

Nach der anfänglichen Irritation durch all die Fragwürdigkeiten auf den Fotos ist der mindestens zweite Gedanke des am Brockhaus geschulten rationalen Geistes: Wie sind sie gemacht, dieses Fotos, wer hat da wie was draufgezaubert mittels simpler Technik, die man sich beim Durchblättern von „Fotopraxis für jedermann“ aneignen kann? Aber es geht doch gar nicht so sehr darum, was man auf den Fotos sieht, sondern was man darauf sehen will.

Fotos, dazu geschaffen, Realität perfekt wiederzugeben, haben ja diesen Nimbus von Glaubwürdigkeit, und genau darum wird jede auf Zelluloid gebannte Szene aufgenommen ins Pantheon des Wirklichen: Die Ufos auf Fotos sind realer als die in der Erzählung. Und es gab wohl noch keine Glaubensrichtung, die nicht irgendwann versucht hätte, mittels Fotos oder anderer technischer, wissenschaftlicher Apparaturen Beweise zu führen - also genau mit jenen Mitteln, die einst die Glaubenssysteme entzaubert hatten. Das gilt sowohl für den aufgeklärten Christen, der mit „Und die Bibel hat doch recht“ unterm Arm noch an den Herrn im Himmel glaubt, obwohl die Astronauten auf dem Mond einen solchen nicht gesichtet haben, wie auch für den Ufogläubigen, der mit exaktem Bildmaterial die Existenz der fliegenden Untertassen beweisen kann (und beide unterliegen demselben Denkfehler: andern etwas beweisen zu wollen; sezza). Andreas Seltzer, aus dessen Sammlung die gezeigten Foros stammen und der sie in seiner eigenen Galerie ausstellt, erzählt von einer Frau aus Hamburg, die die größte Bildersammlung über Ufos in Deutschland haben soll. Sie hat nicht nur solche Fotos von Untertassen über Wolkenkratzern in ihre Sammlung aufgenommen, vielmehr entdeckt sie überall da, wo das Bildmaterial nicht ganz scharf ist, Wesen und Dinge aus fremden Welten. Es ist daher nur konsequent, wenn in der Ausstellung neben Lichterscheinungen am Himmel auch Fotos zu sehen sind, die auf den ersten Blick nichts mit dem Außergewöhnlichen zu tun haben, auf denen auch nichts Konkretes zu sehen ist: eine weiße Linie, die sich durchs Dunkle zieht, oder ein weißes, durchbrochenes Rechteck auf schwarzem Grund. Von diesem Foto beispielsweise muß man eben nur wissen, das es ein Herr Ted Serios gemacht hat und behauptet, es wäre ein fotografierter Gedanke.

Für ihn seien diese Bilder eine Form von naiver Volkskunst, sagt Andreas Seltzer, die darstellt, welche Mythen 1990 welche Bilder schaffen. Dabei werden die Bilder der Heiligenverehrung '90 nur durch jene Techniken hervorgebracht, die einen täglich umgeben. 8-Uhr -Nachrichten, Tatortfotos, Berichte vom anderen Ende der Welt, vermittelt über einen Satelliten. Umgekehrt bilden neue Techniken immer Bilder heraus, allerdings ohne daß dabei die alten verloren gehen. So können Heiligenerscheinungen auf freiem Feld und die Außerirdischenerscheinungen auf einem Foto nebeneinander existieren. Es wird auch nicht mehr lange dauern, bis die erste Erscheinung durch die Computernetze geistert und dem Hacker auf dem Bildschirm erscheint. Vielleicht sogar als Jungfrau Maria.

Volker Heise

Unruhige Lichter bei Nacht; Galerie Bilderdienst, Pariser Str.51, Berlin 15. Bis zum 25.8. Mo. bis Fr. von 16 bis 19 Uhr, Sa. von 10 bis 14 Uhr.