Unter Qualen gemalt

■ „Der Soldatenkönig als Maler“ in der Turmgalerie in Sanssouci

Erneut muß deutsche Geschichte umgeschrieben werden! Einer ihrer in die Ecke gestellten bösen Buben, der Militarist und Geizkragen, Kinderzänker und Despot Friedrich Wilhelm I., preußischer König von 1713 bis 1740, war, so kann man jetzt in der Turmgalerie der Orangerie in Sanssouci sehen, in Wirklichkeit ein Schöngeist, der die Musen liebte und abseits der lästigen Staatsgeschäfte selbst den Pinsel führte, um alte Meister zu kopieren. Aus Anlaß seines 250. Todestages sind dort derartige Wunderwerke seiner künstlerischen Ambitionen ausgestellt, daß es einem den Atem verschlägt. Doch dazu später.

In der Tat galt der unwirsche „Soldatenkönig“, wie er bislang auf Fahndungsfotos deutscher Topmonarchen geführt wird, als etwas aus der blaublütigen Art geschlagen und „nicht ganz richtig“, prügelte doch der biersaufende Choleriker seine Untertanen am liebsten mit dem Stock oder malträtierte sie mit Tritten. Motzte einer zurück, dann versteckte er seinen aufgeblähten Wanst hinter den „langen Kerls“, jenen großwüchsigen Zinnsoldaten, deren Maßvorzüge sich bis heute beim bundeswehrsportmäßigen Exerzieren gehalten haben („vorne kürzer - hinten länger!!„; Schrittlänge-Ausrichten üben, Grundausbildung). Der feige Dicke kegelte gerne und aß dazu am liebsten Schinkenbrote und Pfälzer Leberwurst. Männerrunden und derbe Witze waren sein Leibgericht. Seine Frau, Sophie Dorothea, trieb er damit aufs Land. Sein Sohn, Klein-Fritzchen, der es später trotz mäßiger 1 Meter 54 Länge zu dem Beinahmen „der Große“ brachte, kam dagegen an keiner Maulschelle vorbei. Und, als der „Querpfeifer und Poet“, wie Friedrich Wilhelm I. ihn verächtlich schimpfte, in Liebe zum schönen Leutnant von Katte entbrannte und mit dem ins liberale England fliehen wollte, um sich dort barocken Lüsten hinzugeben, ließ der Herrscher den Freund kurzerhand hängen und sperrte den Sohn in den Knast. Und Preußen wurde unter dem Regiment des „Vandalen“ (Voltaire) zur europäischen Großmacht. Er quetschte sein Fett zeitlebens in militärischen Wichs. Neben der Armee galt das staatsfinanzenmäßige „Plusmachen“ (W.F.) als Ziel der absolutistischen Politik, während gleichzeitig die Künste und Wissenschaften versandeten und die Residenzstadt Berlin „vom nordischen Athen zu dessen Sparta“ (Fritz der Große) niedersank. Immerhin, alle, die fleißig arbeite- ten, verdienten ein gutbürgerliches Einkommen in diesem unserem Lande ...

Indes, wir haben uns in dem jähzornigen Wüstling getäuscht. In Wahrheit war er ein musisches Lämmchen voller Esprit. Sanft, sensibel und feinfühlig dilettierte der dicke Fürst die letzten zwanzig Jahre seines Lebens in der Malerei. Auf Schloß Kossenblatt und in Königs Wusterhausen, wie man eben herausfand, führte er ein Doppelleben, ganz für die Kunst. Es entstand eine selbstgemalte naive Sammlung alter Meister, wobei sich Friedrich Wilhelm I. nur die glänzendsten Gestalten der bildenden Kunst aussuchte. Unbestätigten Gerüchten zufolge sollen dort noch vier Quartette lagern, die der Fürst, griff er zur Blockflöte, gewissermaßen aus dem Stand komponierte. Liebesgedichte an seinen Sohn und die zwangsverheiratete Tochter Wilhelmine, ganz im Sinne seiner weichen Seele, hatte man bereits unter Lindenbäumen vergraben gefunden. Eben ist man im Begriff, sie zu sichten. Offenbar ist auch, daß der Liebling der Götter nach Vorlagen von Raffael, Tizian, Rubens, van Dyck, Cranach oder Rembrandt gemalt hat. Großartige Kopien, die ihresgleichen suchen, entstanden, ihren Vorbildern kongenial.

Denn wirken anfangs seine Porträts von Caligula und Vitellius (beide 1735) noch flächig, als hätten die beiden römischen Kaiser gepatschte Pfannkuchengesichter, die allesamt dem Künstler etwas ähneln, wenn er nach durchzechter Nacht mit aufgedunsenem Gesicht vor den Spiegel trat, so sind die Nachfolgebilder noch flächiger. Großartig, wie er das Rund in die Fläche zwingt: Unbeschreiblich, von welch zwingender Wirklichkeitstreue der Ausdruck der Gesichter zeugt! In freiem Malduktus entstehen förmlich rauschende Gewänder in Rot und Blau (Frau zwischen zwei Männern, 1736 nach Rubens), auf die nackte Oberkörper nach dem Prinzip der Collage montiert scheinen, als nähmen sie den Stil des 20. Jahrhunderts vorweg. Geradezu neue Deutungen entstehen. Hier wird die bisherige Kunstgeschichtsschreibung fraglich. Das Lokalkolorit hatte der Dicke längst über Bord geworfen. Grünliche Gesichter und pfirsichrote Haut, wie beim Bärtigen (1737 nach Tintoretto), allesamt vor neutralem Hintergrund, konstituieren ein burleskes Intermezzo zwischen Altem und Neuem, das beeindruckend ist.

Auch im Detail war der Künstler nicht müßig. Hier ein paar Tupfer auf die Augenbrauen, damit sie recht deutlich kommen, wobei Lukas Cranach (1736) einem Triebtäter gleicht, dort ein Hauch von Rot, und aus der lustigen Dame mit federgeschmücktem Barett (1738) wird eine ozonverbrannte fesche Dralle. Und sind wir mal draußen, fliegen Zaubervögel und Märchenfiguren durch die Luft, als hätte der Meister Visionen auf die Leinwand gebannt. Als sensationell muß ein antithetisch gegenübergestelltes Doppelporträt bezeichnet werden, das den Kopf eines jungen Mannes in zwei Ausführungen (1736) zeigt, der einmal jung lächelnd, dann aber tot zu uns herüber blickt. An alles wagte sich der Hobbymaler ran.

Eine mögliche Deutung für derart rauhe künstlerische Bekenntnisse mag vielleicht sein, daß der König in den letzten Jahren seines Lebens so an Gicht litt - obwohl er stets frisches Obst aß -, daß nur die Kunst ihm Linderung verschaffte und sie deshalb um so eigentlicher aus ihm herausdrängte. „In tormentis pinxit“, was soviel wie „unter Qualen gemalt“ bedeutet, signierte der Monarch. Die Hofmaler Pense und Degen mußten dem Schwerstbehinderten dann zwischen kräftigen Streicheleinheiten - schon mal unter die Arme greifen, die Farben mischen und den Pinsel führen. Doch was sind solch kleine Hilfeleistungen schon angesichts dieses Gesamtschaffens, das den „Soldatenkönig“ in neuem Lichte zeigt. Auch Hans-Joachim Giersberg, Chef der Potsdamer Schlösser, meinte zur Eröffnung der Ausstellung, daß der König bisher „unterbewertet worden“ sei. Auf geht's.

rola

Die Ausstellung Der Soldatenkönig als Maler ist noch bis 18. Oktober in der Turmgalerie der Orangerie in Sanssouci zu sehen, tägl.von 9 bis 12 und von 13 bis 17 Uhr. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.