Querkopf Savoldo

 ■ Die Frankfurter Schirn zeigt Malerei der oberitalienischen

Renaissance

Von Dieter Kief

Maria, die heilige Muttergottes, gebenedeite unter den Jungfrauen; Mathäus, Bartholomäus, Hieronymus: Heilige. Heilige über Heilige; sitzend, kniend, stehend hängen sie in der Schirn vor den Augen des Publikums. Was Karl Markus Michel der Kritik im Kursbuch „Kunst-Betrieb“ vorwirft: daß sie in den Fängen der Jenseiterei verende, ist hier noch unumgängliche Tatsache: Kunst geht nicht ohne Religion; und religiöse Kunst geht nicht ohne Faltenwurf. Den Malern der Renaissance war's Herausforderung, das ist hundertfach zu sehen und langweilt. Aber es gibt auch Abweichungen von der frühneuzeitlichen (Kleider-)Ordnung, man muß sie nur suchen.

Zu sehen gibt es vor allem Giovanni Gerolamo Savoldo, einen italienischen Meister mit schmalem OEuvre. Er hat von Bosch und Foppa gelernt, sein Einfluß reicht bis zu Caravaggio. Die Frankfurter Ausstellung entfaltet diese Zusammenhänge, indem sie „die Renaissance zwischen Lombardei und Venetien“ in den Blick nimmt.

Zunächst tritt man in ein kleines Remake einer herrschaftlichen Eingangshalle. Hier wie überall läuft nachgeschreinerter Stuck die Wand lang. Die Bilder hängen stilecht auf grün gestrichenen Wänden, die Erläuterungen liegen davor, kein Täfelchen stört den Blick auf das Artefakt; das war sicher nicht billig, wirkt aber gut. Im abgedunkelten ersten Kabinett: Handzeichnungen und Stiche. Vergilbte, blasse Blätter zum Teil frappierenden Inhalts.

Der Stich war das schnelle Medium der Renaissance. Bosch hat über die Blätter nach seinen Tafeln Italien erreicht. Die aufgequollenen Läuse und Schwänze mit Dackelohren und Kopffüßler sind alle versammelt, wo sich der italienische Renaissance-Künstler bildet. In den Studierstuben der Humanisten und den Stadtpalästen von Mailand, Turin und Venedig.

Die Portraitzeichnungen Savoldos sind intensiv und ungestüm, dabei keineswegs fahrig. Die Stiche, von denen er mit Sicherheit einige gekannt hat, oft wild und drastisch. Savoldo schaut sich das an, jedenfalls sehr warscheinlich, wie die Kunsthistoriker einschränken, und beginnt mit der Arbeit. Ein solider Handwerker, er gilt bereits den Zeitgenossen als ausgesprochen langsamer Maler. Die am Main gezeigten 37 Bilder und elf Zeichnungen sind der Großteil dessen, was von ihm erhalten ist.

Die Schirn hat die Schau zusammen mit des Malers Heimatstadt Brescia erarbeitet und nun von da übernommen. Europäische Druckgrafik von Schongauer bis de Cock und Altdorfer sowie Bilder vor allem oberitalienischer Zeitgenossen wie Vincenzo Foppa und nordischer Maler wie Jan Joest van Calcaar eröffnen vielfältige Ausblicke unter den Aspekten Portrait, Landschaft und der Behandlung von hell und dunkel, Licht und Schatten, Feuer und Nacht.

Die Renaissance ist die Zeit (moderner) Säkularisierungstendenzen; das Individuum löst sich vom Schema des Gotteskindes, das Bild erhält einen ästhetischen Eigenwert. Salvodo ist eine typische Figur dieses Überganges. Seine Auftraggeber waren oft Humanisten, oder humanistisch gesonnene Patrizier. Er hat gut zu tun und wird gut bezahlt. Dennoch reden die Spezialisten scheu von einem zerrissenen Menschen. Er macht viel Konfektion, gebauschte Gewänder, das Gängige: dramatische Lichteffekte auf das neugeborene Jesusknäblein usf. Aber er vervollkommnet seine Technik, malt zwei, drei überragende Bilder und tritt dann wieder ab; er wird beinahe vergessen.

Für den Verfasser einer bekannten Erbauungsschrift über das Leben Christi, Pietro Contarini, malt Salvodo Die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten - und zwar gleich viermal. Den individuellen Gesichtszügen der Maria entspricht die identifikatorische Darstellung von Contarinis Leben Christi. Dort entpuppen sich vier Hirten, die das Geschehen kommentieren, als venezianische Patrizier auf der Wallfahrt nach Jerusalem. Sakrale und profane Sphäre durchmischen sich. Diese Signatur der Epoche ist vielen Bildern Salvodos abzulesen. Die vorwiegend religiösen Motive werden modern überformt.

Das Heiligenbild wird zum Anlaß für das Portrait und zur Allegorie für das neue gelehrte Zeitalter. Zwar: Hieronymus kniet in Andacht vor einem Buch. Aber das wird hell und nahe an den Betrachter herangerückt, während eine Christusfigur im Dunkel des rechten oberen Bildrandes beinahe verschwindet. Zudem stellt dieser Büßende Heilige Hieronymus aller Wahrscheinlichkeit einen Patrizier dar.

Ähnlich das Portrait einer Dame als Hl. Margarete von Antiochia. Auch hier das für Portraits ungewöhnliche Querformat. Dunkle Farben dominieren das Bild, welches Savoldos nordische Anregungen besonders klar zeigt. Es erinnert mit vorherrschendem Grün und Blau an Cranach d.Ä. Die Tradition des Heiligenbildnisses ist noch repräsentiert im Drachen, der am linken unteren Bildrand braun-grau wie die Wand in das Zimmer hineinragt. Aber das feuerspeiende Untier ist gleichsam zum Hündchen an der Leine geschrumpft. Die patrizische Pracht im reichen Zierat des Kleides und die selbstbewußte Haltung der dargestellten Frau dominieren die Szene. Das heidnische Mysterium (Edgar Wind) in Gestalt des Drachens schreckt nicht mehr. Stattdessen rückt auch hier ein Buch in das Zentrum des Bildes, über das der Blick des Betrachters in die ruhige Ferne einer abendlichen Landschaft gleitet. Buch und Bild als die entscheidenden Medien der neuen Zeit besiegen den archaischen Schrecken.

Die Ausstellung präsentiert eine ganze Reihe illustrer Vorfahren und Zeitgenossen. Lang ist die Reihe der dargestellten biblischen Figuren, hoch der Grad an Übereinstimmung bei Jan de Beer, Girolamo da Brescia, Giovanni Bellini und anderen. Die Bilder sind überwiegend beherrscht von flächigen, zum Teil wächsernen, oft naiv anmutenden und wenig individualisierten Gestalten. Vor allem die Bilder der Hochrenaissance geben eine gute Vorstellung davon, daß das Andachtsbild eine Form der Gebrauchskunst darstellt. Die Patrizier, aber auch die reichen Klöster statteten damit ihre Kapellen bzw. Refektorien aus, die Bilder sollten die Inbrunst beim Gebet steigern helfen. Für heutige Augen Reizvolles entstand eher nebenbei, als Folge eines sich immer mehr ausdifferenzierenden Marktes. Es ist in Frankfurt daher sehr vieles zu sehen, was nur den Spezialisten begeistern kann.

Spannung entsteht, wo Heiliges und Profanes sich durchringen wie auf dem Bildnis eines Kriegers mit Page. Hinter Teilen der aus dem Dunkel hervorschimmernden Rüstung nehmen Schwert und Personen jeweils den gleichen Raum ein. Das leuchtende Schwert ist in der Sicht des unbekannten Meisters ein Mittelding aus stählernem Glanz, Kreuz und Gefährte. Solche Bilder gwähren durchaus frappierende Durchblicke auf fremde Mentalitäten.

Zu den Savoldo eigentümlichen Mitteln gehört der Schatten. Hier besonders dürfte er auf Caravaggio gewirkt haben, dessen berühmtes Gemälde David und Goliath an der Stirnseite der Ausstellung trohnt. Aber Savoldo ist noch näher an der mittelalterlichen Demutslehre, er zielt nicht auf Dramatik, sondern auf Inbrunst. Oft sind gerade die bildwichtigen Gestalten im Schatten oder im Halbschatten zu sehen. Der zweifelnde und langsame Mann gewinnt dem Schatten jedoch Gemütsbewegungen ab. Er malt die Melancholie. Das wird ganz besonders deutlich an seinem Portrait eines Mannes mit Flöte in einem Zimmer. Hier ist kein Heiliger mehr, nur ein Mensch und Zeichen der Kultur: (wiederum) Bücher, ein Instrument, Noten; es liegt schon existentielle Vereinzelung über der Szene, viel Grau gibt ihr Halt, aber auch Strenge - und es gibt Raum für Trotz: entgegen dem zeitgenössischen Ideal ist die (Hirten-)Flöte zu sehen und kein Saiteninstrument.

Das vielleicht eigensinnigste Bild Savoldos zeigt Maria Magdalena, dem Betrachter zugewandt, mit dem Rücken zum Abendhimmel. Ihr Gewand überstrahlt alles, denn es wird vom „Licht des Herrn“ erleuchtet, der ihr gegenübersteht, aber nicht zu sehen ist. Maria schaut direkt dem Betrachter in die Augen, der damit an Jesus‘ Stelle rückt. Die lange Arbeit Savoldos an der Darstellung des Lichts verdichtet sich hier zur Provokation des „Atheismus im Christentum“ (Ernst Bloch).

Dieser krasse Affront geschieht völlig innerhalb des christlichen Bezugssystems. Auch wo bei Savoldo die wissende Traurigkeit der Melancholie im Spiel ist, wird eine Haltung deutlich, die sich den Widersprüchen der Zeit stellt, ohne sich darüber zu stellen. Er artikuliert das „Unbehagen in der Kultur“ ohne jeden triumphalen Gestus, aber durchaus konsequent. Seine Sache ist die sanfte und völlig aus dem Material heraus entwickelte Transformation christlicher Inhalte und Sehweisen. das hat sich als einigermaßen haltbar herausgestellt. Beinahe wäre er vergessen worden, aber eben nur beinahe. Jetzt ist er wieder zu sehen. Do it.

Ausstellung in der Frankfurter Schirn bis 26. August, Katalog 42 DM