Sommersmog: Es ist zum Heulen

■ Bundesweit hohe Ozonkonzentrationen am Wochenende / Taunus, Frankfurt oder Sylt - es gibt kein Entrinnen / Umweltministerien der Länder gegen Sofortmaßnahmen / Grüne fordern Fahrverbot

Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) - Ulrike Fabricius hatte am vergangenen Wochenende das heulende Elend. Die Tränen liefen ihr stundenlang über die Backen, die Bindehäute entzündeten sich, und die Schleimhäute im Rachenraum waren wie ausgetrocknet. Doch die Geschäftsführerin der westdeutschen Verlagsgesellschaft dieser Zeitung hatte nicht - wie zunächst vermutet - ihre Kontoauszüge von der Bank geholt oder Krach mit ihrem Freund gehabt. Radfahrerin Ulrike Fabricius wurde an der Peripherie der Großstadt schlicht vom schönen Wetter gepeinigt.

Wenn die Sonne intensiv und gnadenlos die Abgaswolken über der Erdoberfläche bestrahlt, steigt nämlich die Ozonkonzentration in der Luft - am Samstag beispielsweise im Frankfurt auf einen Spitzenwert von 220 Mikrogramm pro Kubikmeter Atemluft. Und ein hoher Ozonwert beeinflußt die menschliche Physis negativ: Symptome wie Augenreizungen, Kopfschmerzen und Atembeschwerden verbinden sich mit einem allgemeinen Erschöpfungszustand. Bei extrem hohen Ozonkonzentrationen kann es zu einem Kreislaufversagen kommen. Als „kritisch“ bezeichnen Experten aus dem hessischen Umweltministerium einen Wert von 360 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft. Gefährdet sind insbesondere ältere Menschen und Kinder sowie Personen mit labilem Kreislauf.

Doch nicht nur in den kurz vor dem Verkehrskollaps stehenden Großstädten steigen aufgrund der anhaltenden hochsommerlichen Temperaturen die Ozonwerte. Der „Sommersmog“ fordert seine Opfer gerade in den sogenannten Frischluftzonen in den Mittelgebirgsregionen. Der absolute Ozonspitzenwert von 250 Mikrogramm wurde in Hessen am knallheißen Samstag in Königstein im Taunus gemessen. Und noch am etwas kühleren Sonntag vermeldete eine Luftmeßstation im Spessart 200 Mikrogramm Ozon auf einen Kubikmeter Luft. Daß der „Sommersmog“ gerade in den „Reinluftzonen“ verstärkt auftritt, hat mehrere Ursachen: Zum einen trägt der Wind die Schadstoffe aus den Ballungszentren halb Europas großflächig in die unbelasteten Regionen hinein. Zum anderen dämpft die konzentrierte Dunstglocke über den Städten - im Gegensatz zum verteilten Smog auf dem Lande - die Intensität der Sonnenbestrahlung. Die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Aeronomie haben darüber hinaus herausgefunden, daß die Stickstoffmonoxid-Emissionen aus Kraftfahrzeugen nachts mit dem Ozon reagieren und so „normaler“ Sauerstoff und Stickstoffdioxid entsteht. „Ozonzersetzung“ heißt dieser Prozeß, der in unbelasteten Regionen wesentlich langsamer abläuft. Da aber tagsüber aus dem Sauerstoff -Stickstoffdioxid-Gemisch unter intensiver Sonnenbestrahlung wieder Ozon entsteht, ziehen auch die Metropolenbewohner kaum Vorteile aus dem Land-Stadt-Gefälle bei den Ozonwerten. Ohne die Ozonzersetzung in der Nacht addieren sich allerdings die Belastungswerte von Tag zu Tag. Nur so ist zu erklären, daß selbst auf der in einer großräumigen Frischluftzone liegende Nordseeinsel Sylt noch ein Ozonwert von 238 Mikrogramm pro Kubikmeter Salzluft gemessen wurde und das schon im sonnenarmen Juni.

Um eine deutliche Senkung der Ozonbelastung zu erreichen, müßten deshalb die Emissionen von Stickoxiden und Kohlenwasserstoffen in ganz Europa gesenkt werden, meinte der hessische Umweltminister Karlheinz Weimar (CDU). Doch auf der entscheidenden Sitzung der Umweltminister der Länder in der vergangenen Woche in München trug auch Weimar den Konferenzbeschluß mit, wonach die Öffentlichkeit bei der Überschreitung des festgelegten Grenzwertes von 180 Mikrogramm Ozon lediglich informiert werden soll. Vor dem „Sommersmog“ gewarnt wird erst ab dem kritischen Grenzwert von 360 Mikrogramm pro Kubikmeter Atemluft - und zwar über die Rundfunkanstalten und über Videotext. Die Umweltminister empfehlen der Bevölkerung dann, doch bitteschön etwa auf das Joggen oder die exzessive Gartenarbeit zu verzichten und bei extrem hohen Werten einfach zu Hause zu bleiben.

Die Grünen im hessischen Landtag warfen den Umweltministern gestern vor, mit den Beschlüssen von München „Augenauswischerei“ betrieben zu haben. Ohne einen Maßnahmenkatalog zu verabschieden, hätten die Umweltminister der Länder im Verein mit Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) den Kopf in den Sand gesteckt und so einen „fahrlässigen Umgang mit der Gesundheit der Bevölkerung“ demonstriert. Die Grünen forderten die Landesregierung auf, bei steigenden Ozonwerten umgehend flächendeckende Verkehrsbeschränkungen bis hin zu Fahrverboten zu erlassen: „Das Land Hessen muß hier auf Bundesebene schnellstens eine gesundheits- und umweltpolitische Initiative ergreifen.“ Auch Greenpeace warf den Umweltministern in Sachen Ozonkonzentration „Verharmlosung und Tatenlosigkeit“ vor. Die Umweltorganisation wies darauf hin, daß es bereits unterhalb des festgelegten „Informations„-Grenzwertes von 180 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Atemluft bei Kleinkindern zu Lungenfunktionsstörungen komme.

Für den Sprecher des hessischen Umweltministeriums, Gerhard Bayer, sind regionale Beschränkungen der Emissionen in Zeiten erhöhter Ozonkonzentrationen allerdings nach wie vor „als Gegenmaßnahmen nicht geeignet“. Zwar stehe fest, daß der Kraftfahrzeugverkehr, neben den Abgasen aus Industrie und Energieversorgung, der Hauptverursacher des „Sommersmogs“ sei, doch könne das Problem nur europaweit gelöst werden.

Falls die UV-Strahlen also weiter vom Himmel auf den Abgasdreck knallen sollten, wird taz-Geschäftsführerin Fabricius weiter weinen müssen. Dank der Informationspo litik der Landesregierung weiß sie heute allerdings wenigstens warum.