Buddha sei dank

■ „Die Steine“ nach Gertrude Stein und der „Mana Danse de Nada“

in Avignon

Von Jürgen Berger

Die beiden Großereignisse des diesjährigen Theaterfestivals werden zum letzten Mal gespielt und sind besprochen: Jean Pierre Vincents Scapins Streiche und Jerome Savarys Sommernachtstraum (siehe taz vom 25. und 27. 7.). Das Festival ist bald vorbei, und damit auch die Suche, was das französische Theater in dieser Saison sonst noch an Aufregungen zu bieten hat. Unversehens landet man bei den Spielorten in Avignon: Die Stadt ist im Juli ein einziges Theater, und was die Südfranzosen in Höfen, Kreuzgängen, Kellern und Kinos an Bühnen hervorgezaubert haben, sucht seinesgleichen in der Welt. Zu den Spielorten in Avignon kommt noch die Chartreuse von Villeneuve Les Avignon, auf der anderen Seite des Rhoneufers, ein weitverzweigtes ehemaliges Kartäuserkloster - und hier kann es geschehen, daß der Streifzug durch die ehemaligen Klosteranlagen weitaus reizvoller ist als das Theater selbst.

Das „International Visual Theatre“ ist seit Jahren auf der Suche - nach einem Theater des körpersprachlichen Ausdrucks. Man versteht sich als experimentelle Truppe und hat letztes Jahr zusammen mit dem Regisseur Thierry Roisin ein Divertissement für vier Schauspieler nach einem Text von Gertrude Stein erarbeitet: Die Steine nach Miss Furr und Miss Skeene. Eine ältere Frau, die das Reisen liebt, und eine junge, gutaussehende Frau treffen aufeinander. Dazu kommen ein Marineoffizier und ein junger, schüchterner, unbeholfener Mann. Ein Beziehungsgespinst zwischen den Vieren entsteht: Der Offizier träumt von der See und will dem Jungen zeigen, wie man mannhaft wirkt, während sich zwischen den Frauen ein eher zarteres Verhältnis entwickelt. Den Text von Gertrude Stein denkt man sich kühl, und wenn man Bilder zu dieser Situation phantasiert, assoziiert man Edward Hopper.

Der Truppe unter Regisseur Thierry Roisin mag so etwas vorgeschwebt haben. Teilweise gelingt es den Schauspielern, ein klares Spiel ohne Worte in der ehemaligen Kirche des Kartäuserklosters zu entwickeln. Ihr Körperspiel suchen sie dabei mit Mitteln der Taubstummensprache zu intensivieren. Aber je länger es geht, um so mehr ermüdet ihr Theater und verliert an Kälte, bis es dann gar lieblich wirkt. Man hat dem eigenen Ansatz nicht getraut und ist einen Schritt zurückgegangen. Eine Frau an der Rezeption fungiert als Erzählerin, indem sie zentrale Stellen aus dem Text von Gertrude Stein repetiv vorträgt. Es gelingt ihr nie, eine weitere Spieldimension neben der körpersprachlichen herzustellen.

Thierry Roisin hat die Jahre zuvor im Off-Programm des Festivals inszeniert und ist dieses Jahr zum ersten Mal ins offizielle Programm geladen worden. Das ist zu vertreten, weil es wichtig ist, solche Experimente vorzustellen. Fraglich ist allerdings, warum Patrick Bossatti und Bertrand Lombard unter der Kategorie „Tanz“ eingeladen wurden wahrscheinlich, weil das Festival keinen Veranstaltungsteil Gut verkaufte Selbsterfahrung kennt. Lombard ist Tänzer, Bossatti Zeichner, der Tanz zeichnerisch festhalten will. Gemeinsam sind die beiden in den Himalaya gefahren und haben den See Mana entdeckt. In Avignon stellten sie nun vor, was ihnen der See gegeben hat, von dem die Buddhisten sagen, er sei der Mittelpunkt der Welt. Während der sieben Aufführungen zeichnet Bossatti, was Lombard tanzt, woraus eine neue Mappe mit Zeichnungen entsteht. Der Tanz ist Buddha sei dank - nach einer halben Stunde vorbei. Danach kann man Subskribent der Mappe mit Zeichnungen werden. Bertrand Lombard gilt als einer der interessanten jungen französischen Tänzer, was richtig sein mag. Nur sollte er sich vor bildenden Künstlern hüten.

Wie gesagt - der Mana Danse de Nada lief in der Reihe der Tanzabende, die inzwischen traditionsgemäß Schlußpunkt des Festvals sind. Hier gab es neben der verunglückten Selbsterfahrung zwei weitere, voluminösere, choreographische Abende. Davon demnächst mehr, wenn auch in Avignon wieder Alltag ist.