RAF-Gutachter wurde demontiert

■ Schriftsachverständiger der Bundesanwaltschaft: vollkommene Niete / Er brachte viele in den Knast / Haftentschädigung für U-Haft / Blamage für Bundesgerichtshof

Von Walter Jakobs

Düsseldorf (taz) - Der Düsseldorfer Rolf Hartung, der auf Antrag der Karlsruher Generalbundesanwaltschaft wegen angeblicher RAF-Mitgliedschaft und Beteiligung an zwei Sprengstoffanschlägen neun Monate unschuldig in Untersuchungshaft saß, bekommt für dieses Unrecht 12.877,16 DM Entschädigung. Die entsprechende Verfügung des Stuttgarter Justizministerium vom 6.7.90 beruht auf einem Beschluß des Oberlandesgerichts Stuttgart, das den Entschädigungsanspruch am 22.1.90 „dem Grunde nach“ festgestellt hatte. Die Bundesanwaltschaft hatte Hartung, der zeitweise auf der Düsseldorfer Kiefernstraße wohnte, beschuldigt, an den RAF-Bombenanschlägen auf die Immenstaader Dornier-Werke und das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz im Jahre 1986 beteiligt gewesen zu sein. Als einziges Indiz für Hartungs Täterschaft präsentierte die Bundesanwaltschaft seinerzeit ein Schriftgutachten des Hamburger Privatgutachters Hans Ockelmann, der Hartung als Urheber handschriftlicher Warn- und Bekennerschreiben zu den Anschlägen präsentierte. In beiden Fällen sei Hartung ohne jeden Zweifel „als der gesuchte Schreiber zu bezeichnen“, so Ockelmann. Obwohl selbst die BKA-Sachverständige Barbara Wagner urteilte, daß es aufgrund der Schriftproben „nicht möglich“ sei, einen Urheber zu identifizieren, kam die Bundesanwaltschaft mit ihrem Gutachter, den sie zuvor schon in mehreren Stammheim-Verfahren aufgefahren hatte, zunächst bei den höchsten deutschen Gerichten durch.

Die Art und Weise, wie der 3.Strafsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) und der Ermittlungsrichter am BGH, Gerlach, sich dabei selbst über die massivsten Zweifel an der Arbeitsweise des Gutachters hinwegsetzten, zeigt, was von der Unabhängigkeit und Neutralität deutscher Richter zu halten ist, wenn es um 129a-Verfahren geht. Noch am 3.März 1989 begründete der 3.Strafsenat des BGH die Zurückweisung der Haftbeschwerde, die Hartungs Anwalt eingereicht hatte, damit, daß sich der BGH-Ermittlungsrichter Gerlach „zu Recht in erster Linie auf die Gutachten des Schriftsachverständigen Ockelmann gestützt“ habe. Obwohl zu diesem Zeitpunkt bei der „Gesellschaft für forensische Schriftuntersuchung“, der Standesorganisation für Schriftsachverständige, gegen Ockelmann wegen dessen unhaltbarer Arbeitsweise mehrere Ehrengerichtsverfahren liefen, sah Richter Gerlach „keinen Anlaß“, an Ockelmanns Kompetenz zu zweifeln. Im Gegenteil, der BGH-Jurist Gerlach lobte die „außerordentlich sorgfältige Beurteilung“ der Schriftstücke durch Ockelmann.

Nur dem zähen Kampf von Hartungs Verteidiger Klaus Bartens ist es zu verdanken, daß das OLG Stuttgart sich Monate später endlich bereit fand, ein zusätzliches graphologisches Gutachten einzuholen. Die Wahl fiel auf den Schriftgutachter des baden-württembergischen Landeskriminalamtes, Dr. Kai Nissen, der Ockelmanns Gutachten als „methodisch fehlerhaft“ und „vom Ergebnis her falsch“ bewertete. Nach diesem vernichtenden Urteil war das Lügengebäude der Bundesanwaltschaft nicht mehr zu halten. Auch die bis dahin willfährig, ja in der Substanz rechtsbeugend agierenden Richter des Bundesgerichtshofes konnten nun nicht mehr helfen.

Der Presse war dieses schäbige Justizstück bisher kaum eine Zeile Wert. Dem bevorstehenden Ausschluß aus der „Gesellschaft für forensische Schriftuntersuchung“ kam Ockelmann inzwischen durch Austritt zuvor. Ockelmann habe „selbst die Konsequenz gezogen“, sagte der Vizepräsident der Gesellschaft, Prof. Michel, am Dienstag.