„Das militärische Ziel verfehlt“

■ Neues Bekennerschreiben der RAF zum Bombenanschlag auf Staatssekretär Neusel / Kampf gegen die „neuentstandene großdeutsche/westeuropäische Weltmacht“ / Appell an gemeinsame Ziele

Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) - Die „Rote Armee Fraktion“ (RAF) hat sich in einem weiteren Schreiben zu dem Bombenanschlag auf den Bonner Staatssekretär im Innenministerium, Hans Neusel, bekannt. Das „militärische Ziel der Aktion“ sei verfehlt worden, heißt es in dem fünfseitigen Schreiben an mehrere Redaktionen, da die Sprengstoffmenge zu niedrig berechnet worden sei. Die Explosion hätte dem 62jährigen Staatssekretär „seinen sicheren Tod“ bringen, aber Unbeteiligte nicht treffen sollen. Neusel hatte das Attentat am Freitag morgen leicht verletzt überstanden.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln und die Karlsruher Bundesanwaltschaft bezeichneten die Erklärung, die am Sonntag abend in Frankfurt aufgegeben wurde, als „echt“. Über den Inhalt und die Form gebe es eine weitere Parallele zu dem Bekennerschreiben nach dem tödlichen Anschlag auf den Vorstandsprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, Ende November 1989. Bei beiden Anschlägen wurde am Tatort eine kurze, in Plastik verschweißte Erklärung zurückgelassen, der ein späteres, ausführlicheres Bekennerschreiben folgte.

Staatssekretär Neusel wird von den Verfassern als der führende „Aufstandsbekämpfungs-Experte“ bezeichnet. Er sei nicht nur für die „harte Haltung“ des Bonner Innenministeriums während des letzten Hungerstreiks der RAF -Gefangenen im Frühjahr 1989 verantwortlich - über seine Mitarbeit in der internationalen Regierungskommission zur Bekämpfung des Terrorismus und des internationalen Verbrechens (Trevi) soll er auch die Verantwortung für den Tod des spanischen Grapo-Mitglieds Jose Manuel Sevillano mittragen.

Sevillano war am 25.Mai nach 177 Tagen Hungerstreik gestorben. Neusel sollte für seine „Verbrechen zur Verantwortung“ gezogen werden; er organisiere „den Kampf gegen alle, die für Befreiung, Selbstbestimmung und ein menschenwürdiges Leben gegen die Zerstörung, die von diesem System ausgeht, kämpfen“.

Die „Offensive gegen die Gefangenen in Spanien“ - gemeint ist die Weigerung der spanischen Regierung auf die Forderung der Hungerstreikenden nach einer „Wiederzusammenlegung“ einzugehen - geschehe mit der vollen Rückendeckung der anderen westeuropäischen Staaten.

„Dieser Block mit der BRD an der Spitze hat sich heute zur Weltmacht aufgeschwungen“, deren innere, „sich ständig verschärfenden Widersprüche“ sich nicht mehr befrieden ließen.

In dürren Worten wird der Umbruch in Osteuropa und der DDR als „rasende Entwicklung“ und als „Einverleibung der DDR“ bezeichnet. In deren Folge habe die Bundesrepublik die uneingeschränkte Vormacht in Westeuropa erlangt und „der ganze westeuropäische Block“ sei Weltmacht geworden. Die Bundesrepublik und die „neuen Machteliten in der DDR verfolgen mit dem Schritt zum Großdeutschland dieselben Ziele und imperialen Pläne wie der Nazi-Faschismus“.

Konstruiert wird weiter, daß der Frage, „ob die Gefangenen in Spanien mit ihrem Kampf durchkommen, für die gesamte nächste Phase, dem Neuaufbau revolutionärer Praxis, große Bedeutung“ zukomme. Die „Zerschlagung der Gefangenenkollektive“ solle einen „Umschlag“ einleiten, und zwar „genau an der Frage, wo die Einheit und das Bewußtsein über die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns in den revolutionären Bewegungen (...) am weitesten ist“.

In dem Schreiben werden zwei Stoßrichtungen des Neusel -Attentates betont: Zum einen sollten die Forderungen der Gefangenen unterstützt und zum anderen „eine lange Kampfphase gegen die neuentstandene großdeutsche/westeuropäische Weltmacht“ eingeleitet werden.

Bezeichnenderweise wird in dem Bekennerschreiben, das bei Autonomen und Internationalisten an gemeinsame Ziele appelliert, mit keinem Wort zum geplanten Attentat auf den Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle Stellung genommen. Ebenso wenig zu den RAF-Aussteigern, die in den vergangenen Monaten in der DDR verhaftet wurden.