Volkseigenes zu treuen Händen?

■ Treuhand-Chef prognostiziert „heißen August“ / Massive Zahlungsprobleme der Betriebe / Keine Gießkannenkredite mehr

Berlin (taz) - Vehement wehrt sich Reiner Gohlke, Präsident der DDR-Treuhandanstalt gegen allzu direkte Fragen. Auf seiner ersten Pressekonferenz als Chefprivatisierer der DDR-Wirtschaft um eine etwas konkretere Aussage zur Sanierungsfähigkeit der noch volkseigenen Betriebe gebeten, reagierte Gohlke gestern in Ost-Berlin kategorisch: „Ich weigere mich, das hier zu sagen. Jede Schätzung kann nur falsch sein. Nur Fakten helfen uns.“

Um das Informationsdefizit der Treuhandgesellschaft abzubauen, hat die größte Holding der Welt, die über die Zukunft von 8.000 Betrieben zu entscheiden hat, jetzt erstmal eine umfangreiche Fragebogenaktion gestartet. Die Betriebsleitungen, aus der SED-Ära nicht ungeübt im Bedienen zentraler Informationswünsche, sollen über alles Auskunft geben, was zur Beurteilung der aktuellen Lage des jeweiligen Unternehmens notwendig erscheint.

Weil aber die betriebliche Innenperspektive kaum eine objektive Grundlage für die weitreichende Entscheidung über Konkurs oder Sanierung erbringen wird, hat die Treuhand jetzt „Sanierungsteams implementiert“, deren Inspektionen vor Ort Aufschluß über finanzielle Förderungswürdigkeit erbringen soll.

Gohlke, qua Amt zu Optimismus verpflichtet, verweist auf die „hervorragenden Ressourcen“ und „gutausgebildeten Leute“, die der DDR-Wirtschaft große Chancen eröffneten; doch einen wettbewerbsfähigen Betrieb hat der ehemalige Bundesbahnmanager nach eigenen Aussagen bislang noch nicht gefunden. Während die ersten Maßnahmen zur Sanierung schon durch die fehlende ökonomische Bestandsaufnahme der Betriebe verzögert werden, ist die Bewilligung von Überbrückungskrediten derzeit noch die zentrale Aufgabe der Anstalt. Man sei überrascht gewesen, so Gohlke, in welch hohem Maße diese Kredite beantragt worden seien. Der ursprünglich für drei Monate vorgesehene Kreditrahmen der Treuhand in Höhe von zehn Milliarden DM war schon im Juli vergriffen.

Alle Liquiditäts- und Absatzprognosen für die vergangenen vier Wochen sind laut Gohlke über den Haufen geworfen worden. „Im Augenblick zahlt kein Unternehmen für Lieferungen“ und praktisch niemand seine Rechnungen.

Die Belastung der Treuhand durch Bürgschaften auch für Betriebe, die unter marktwirtschaftlichen Bedingungen ohnehin keine Zukunft haben, soll schon im August eingeschränkt werden. Subventionierung „nach dem Gießkannenprinzip“ wie noch im Juli soll es nicht mehr geben. Damit die angekündigten „strengeren und präziseren Kriterien“ für die Kreditvergabe Anwendung finden, sollen die Sanierungsteams den konkreten Bedarf und die Kreditwürdigkeit der einzelnen Betriebe erkunden. In diesem Zusammenhang prophezeit Gohlke einen „heißen August.“ Weil dennoch das Bürgschaftsvolumen der Treuhand wohl auch weiterhin überschritten wird, habe man intensive Gespräche mit den kreditgebenden Banken geführt. Nachdem diese bislang auf eine 100-prozentige Bürgschaft der Treuhand bestanden haben, appelliert Gohlke jetzt an deren unternehmerische Risikobereitschaft und verweist auf ein gerade erlassenes Gesetz, das es erlaubt, auch Sachwerte der Betriebe zu beleihen.

Eine echte Beurteilungsgrundlage für die Sanierungsstrategien und ihre Unterstützung durch die Treuhand, werden wohl erst die zum 31.Oktober fälligen D -Mark-Eröffnungsbilanzen der Betriebe erbringen. Doch noch fehlt hierfür die gesetzliche Grundlage. Schon deshalb und wegen des politischen Interesses, einen aprupten massenhaften Kollaps von Betrieben zu verhindern wird die Treuhand wohl noch eine ganze Weile ins Blaue bürgen müssen.

Leidenschaftlich wird Gohlke, wenn es um seine eigentliche Aufgabe, die Entflechtung und Privatisierung der Betriebe geht. Marktwirtschaft ist nicht nur die Zielperspektive der herkuleischen Aufgabe der Treuhand; auch die Privatisierung selbst soll möglichst schon durch marktwirtschaftliche Konkurrenz verschiedener Interessenten geprägt sein. Gerade in Bereichen, wo Nachfrage besteht, will Gohlke die Angebote und Konzepte möglichst vieler Investoren prüfen. Wer den Zuschlag bekommt müsse unterschiedliche Kriterien erfüllen. Gohlke nennt in diesem Zusammenhang die Bereitschaft zu Zusatzinvestitionen über den bloßen Erwerb von Firmenanteilen hinaus; zudem geht es darum, welches Konzept die Erhaltung von möglichst vielen Arbeitsplätzen verspreche. Darüber hinaus werde das gesamte Unternehmenskonzept auf seine Marktfähigkeit hin beurteilt.

Wohl um naheliegende Befürchtungen über Interessensverquickungen westlicher Manager, die führende Funktionen in der Treuhand wahrnehmen, zu begegnen, betont Gohlke mehrmals die Transparenz, unter der Privatisierung und Anteilsverkauf vonstatten gehen sollen. Jede Entscheidung der Treuhand für oder gegen einen Interessenten müsse nachvollziehbar gemacht werden. Aber auch hier gilt wie in der Politik der Übergangs-DDR das Argument Zeitdruck. Der erfordere unkonventionelles Arbeiten und auch die prinzipiell geforderte Offenheit werde, so Gohlke, wohl nicht in allen Fällen erreicht werden können.

Matthias Geis