Die Königin der Kakerlaken

Die Kakerlake, ursprünglich ein Tropenbewohner, ist nach einer Formulierung der Encyclopaedia Britannica längst zum „Kosmopolitan“ geworden. Vor allem die deutsche Unterart des Ungeziefers (blatella germanica) folgte dem Menschen bis in hohe Breitengrade. Küchenschaben gehören zu den primitivsten aber auch zu den ältesten Insektenarten. Sie waren lange vor dem Dinosaurier auf der Welt und werden, davon sind viele Biologen überzeugt, auch den Homo sapiens überleben. Die meisten Menschen ekeln sich vor den dunkelbrauen Vorratsschädlingen mit dem unangenehmen Eigengeruch, aber es gibt auch regelrechte Schaben-Fans. So veranstalten die

US-Amerikaner jedes Jahr ein großes Kakerlaken-Derby auf Hawaii an dem sich auch der Präsident beteiligt und selbst in der taz-Redaktionsleitung sitzt ein Insektenfreund der zärtliche Gefühle für La Cucaracha hegt.

Die größten Kakerlaken-Liebhaber aber sind die Japaner. Soeben wurde dort, nach einem langen, das gesamte Inselreich umspannenden Wettbewerb, ein 5,4 Zentimeter langes Exemplar zur Königin aller Kakerlaken-Gattungen dieses Jahrhunderts gewählt. Die Preisverleihung war ein glanzvolles Ereignis im Kongreßzentrum Ikebukuro Sunshine City. Tokios Zeitungen berichteten ausführlich. Die 31jährige Hausfrau Takako Sunagawa wurde mit einer Belohnung von 100.000 Yen (1.110 D -Mark) ausgezeichnet. Sie hatte die spätere Königin in ihrem Vorratshaus auf der Insel Irimote entdeckt, und

sorgfältig mit der Hand gefangen. Schon nach einer ersten Messung stellte sie fest, daß sie gute Chancen auf einen Rekord haben müsse: Im letzten Jahr hatte eine braune Schönheit gewonnen, die nur 4,5 Zentimeter lang war. Die Experten, die nor

malerweise für einen Insektenvernichtungsmittelhersteller arbeiten, hatten 334 eingesandte Schaben zu messen und kriminalistisch zu untersuchen. Immer wieder versuchen nämlich verbrecherische Spaßvögel aus mehreren Tierchen mit Hilfe von Skalpell und Klebstoff eine rekordbringende Superschabe zu basteln. Die siegreiche „Gokiburi“, wie die Schabe in Nippon genannt wird, erwies sich zweifelsfrei als echt. Sie wurde eindeutige Siegerin und qualifizierte sich damit für den „International Cockroach Contest“. Deutsche Kakerlaken hätten in Japan nicht die Spur einer Chance. Im Vergleich zu den kraftvollen, lederartig glänzenden japanischen Exemplaren werden ihre deutschen Vettern von Experten mit unverholener Herablassung als „klein und blaß“ beschrieben.

Karl Wegmann