Deutschland stand nicht mehr zur Debatte

■ Am 2. August 1945 wurde das Potsdamer Abkommen unterzeichnet/ Ein Brandanschlag und der Umgang mit Geschichte in Potsdam-Cecilienhof

Am 2. August wollten Harald Maede und seine Mitarbeiter feiern, wie jedes Jahr am Tag der Unterzeichnung des Potsdamer Abkommens. Nach den Ereignissen in der Nacht zum vergangenen Freitag, dem Brandanschlag auf das Schloß Cecilienhof wird wohl diesmal keine rechte Fröhlichkeit aufkommen. Die Motive der Brandstifter sind nach bisherigen Informationen nicht bis ins letzte geklärt. Gleich nach dem Anschlag berichteten die Betroffenen, daß sich vornehmlich Bürger aus der BRD für die Schließung der Gedenkstätte, in der die „überwundene Niederlage Deutschlands“ dokumentiert würde, ausgesprochen hätten.

Harald Maede, seit 1968 in der Gedenkstätte des Potsdamer Abkommens tätig und seit acht Jahren stellvertretender Direktor beschreibt die neue Besuchergeneration nach der Grenzöffnung: „Während wir früher vornehmlich Gruppen aus sozialistischen Ländern, von der SED-Bezirksleitung und vom FDGB organisiert, und Jugendweihe-Gruppen zu betreuen hatten, kommen jetzt wesentlich mehr Einzelgäste, vor allem aus der Bundesrepublik und aus West-Berlin.“ Seitdem die Glienicker Brücke (Cecilienhof ist ja das erste Schloß in Potsdam, das man von dieser Brücke erreicht) wieder problemlos passiert werden kann, reißt der Besucherstrom nicht ab. In diesem Jahr herrschten schon im Winter saisonübliche Zustände: „2.000 Besucher am Sonntag waren nichts besonderes.“ Und Karin Wiedstruck, die seit fünf Jahren Gäste durch die Gedenkstätte führt, ergänzt: „Viele, die neuerdings zu uns kommen, haben ursprünglich gar nicht vor, ein Museum zu besichtigen, und entscheiden sich relativ spontan zu einem Besuch.“

Geschichtstourismus also. Viele Gäste betrachten das Schloß Potsdam-Cecilienhof als den Ort, an dem die Teilung Deutschlands entschieden wurde. Diesen Irrtum versucht K. Wiedstruck deshalb gleich zu Beginn der Führung auszuräumen: „Während der Konferenz in Potsdam spielte Deutschland schon nicht mehr die Hauptrolle, darüber war schon in Jalta entschieden worden. In Jalta wurde auch festgelegt, in welchen Teilen Deutschlands die Truppen der Alliierten stationiert werden sollten.“

Was anschließend an Informationen herüberkommt, ist weniger belehrend und nett sortiert: einige Bemerkungen zur Geschichte und Architektur des Schlosses, anschließend Hintergründe und Ergebnisse der Konferenz vom Juli 1945. Der Besucher erfährt, daß die Konferenz ursprünglich in Berlin stattfinden sollte, doch habe man in der zerstörten Stadt keine geeignete Tagungsstätte gefunden, daß einschließlich der Sicherheitskräfte (jede Delegation hatte 1.000 Mann Sicherheitspersonal) über 4.000 Personen an dieser Konferenz teilnahmen, daß jede Delegation einen separaten Eingang zur Tagungsstätte hatte, daß Journalisten und Fotoreporter nur am Beginn und zum Abschluß der Konferenz für wenige Minuten Zutritt hatten usw.

Anschließend kann der Besucher schauen: hier das Arbeitszimmer der sowjetischen Delegation, der rote Salon, mit dem Schreibtisch, an dem Stalin saß, dort das Sofa, das Churchill dem viel zu schmalen Schreibtischstuhl vorzog. Ein Hauch von Geschichte geistet durch die Räume: Hier wurde Weltpolitik gemacht. K. Wiedstruck beschwört die Aktualität des Geistes der Potsdamer Konferenz. Friede habe man gewollt, Frieden sei das Ziel gewesen, Frieden sei von der Konferenz ausgegangen. Im großen Verhandlungssaal kommt sie dann doch noch einmal auf die deutsche Frage zurück: „Es wäre unangebracht, darüber zu streiten, wer nun mehr Schuld an der Teilung Deutschlands hat. Zumal wir ja jetzt beginnen, den Geist des Potsdamer Abkommens zu realisieren.„Es ist noch gar nicht solange her, da konnte man in diesen Räumen erfahren, daß es die Bundesrepublik war, die das Potsdamer Abkommen verletzt hat, während die DDR stets auf dem Boden desselben stand. Karin Wiedstruck wird gefragt, ob ihre Bemerkungen zur deutschen Frage auch ein Produkt der politischen Wende in der DDR seien. Sie verneint: „Bis auf den letzten Satz habe ich auch vor der Wende alles genauso gesagt.“ Die Frage nach neuen Akzenten in der Führung seit der politischen Wende, wird in letzter Zeit oft gestellt, erzählt Direktor Maede. Jedoch ging es in Potsdam nicht um Deutschland, das sei ein Irrtum. Hier wurde Weltpolitik gemacht. Als zum Beispiel Stalin vorschlug, eine jugoslawische Delegation einzuladen, lehnte Truman ab: „Ich bin hierher gekommen, um Weltprobleme zu lösen.“

Sicherlich zielte das Abkommen darauf ab, daß Deutschland als Ganzes sein Leben auf friedlicher und demokratischer Grundlage wiederherstellen sollte, um unter den friedlichen und freien Völkern der Welt wieder einen Platz einnehmen zu können. Ebenso aber stellt dieses Abkommen den Endpunkt historischer Bemühungen dar, die militärische Niederlage Deutschlands politisch und ökonomisch festzuschreiben. Wobei das Potsdamer Abkommen auch Regelungen enthielt, die sich später als nicht durchhaltbar erwiesen: Solche Passagen des Abkommens, in denen gefordert wird, das deutsche Wirtschaftsleben zu dezentralisieren um die bestehende übermäßige Konzentration der Wirtschaftskraft (Kartelle, Syndikate, Trusts und andere Monopolvereinigungen) zu erreichen und diese so zu organisieren, daß das Hauptgewicht auf die Entwicklung der Landwirtschaft und der Friedensindustrie für den inneren Bedarf gelegt wird. Was damit erreicht werden sollte, sprach Truman am 9. August 1945 aus: „Die Deutschen dürfen keinen höheren Lebensstandard haben als ihre früheren Opfer, die Völker der besiegten und besetzten Länder Europas.“ Wer dergleichen verschweigt, der wird natürlich unglaubwürdig, wenn er behauptet, daß jetzt mit der Vereinigung Deutschlands der Geist des Potsdamer Abkommens realisiert wird.

Die Perspektive der Gedenkstätte bewertet Harald Maede überraschend optimistisch. Viele Anmeldungen kämen von bundesdeutschen und Westberliner Schülergruppen, aber auch führender Vertreter der westdeutschen Wirtschaft. Ideologische Berührungsängste sieht er nicht. „Wir mußten schon immer flexibel sein...“

Michael Wendt