Was ist das, Katalonien?

„Ich bin aller Echo - Katalanische Impressionen“: Die neue „horen„-Ausgabe  ■  hierhin bitte die

„horen“

Salvador Dali war einer und Pablo Picasso auch. Pablo Casals rühmte sich dieser Herkunft, Joan Miro ebenso. Salvador Espriu wollen wir nicht vergessen und Antoni Tapies schon gar nicht. Diese bedeutenden Künstler sind oder waren Katalanen, Männer allesamt, doch auch die Frauen gewinnen in der Theater-, Kunst- oder Literaturszene

zwischen den Pyrenäen und der Costa Brava immer mehr an Bedeutung.

Olga Xirinacs ist eine von ihnen, 1936 in Tarragona geboren und mittlerweile eine der am meisten ausgezeichneten SchriftstellerInnen und DichterInnen ihres Landes. Was ist das, Katalonien? Wer denkt nicht sofort an den Spanischen Bürgerkrieg, an das revolutionäre Barcelona, an den immerwährenden Kampf um Autonomie und selbstverständlich an die katalanische Sprache. Kein Dialekt des Spanischen, sondern eigenständig. Bereits 1502 gab es ein katalanisch -deutsches Wörterbuch.

Der neuesten Ausgabe von die horen, dem norddeutschen Periodikum für „Literatur, Kunst und Kritik“, können wir außerdem entnehmen, wer sich im Laufe der Jahrhunderte über das Land hermachte. Griechen, Phönizier, Karthager, Westgoten, Mauren, Franken und natürlich die Kastilier zogen durch Katalanien. Frau Xirinacs Arbeiten sind vom langen Kampf der Katalanen geprägt sowie von den beherrschenden

Themen Tod und Meer. Zum Beispiel „Der Mann ohne Uhr“, ein Dialog:

-Und wenn er selbst ins Meer gesprungen ist? -Kann auch sein. -Ihn im Netz hochzuholen... Schlechter Fang heute. -Ich erinnere mich noch an die Überschwemmungen 1980. Die Toten, die die Fischer fanden, waren ganz von Fischen aufgefressen, vor allem von Meerbarben, und lange Zeit kauften die Leute keine mehr auf dem Markt. -Es ist schon eklig, sich vorzustellen, daß sie Leichen fressen. -Aber es ist besser, es nicht zu wissen.

Es ist der Verdienst der Herausgeberin Maria-Lourdes Soler i Marcet, sich bei den vergleichsweise drögen Essays und Hintergrundartikeln auf das Notwendige beschränkt zu haben. Einen breiten Raum nehmen dabei die Aufsätze von Frank G. Hirschmann über die Geschichte der katalanischen Sprache ein. Auch der ewige Antagonismus zwischen Katalanien und Kastilien und die Angst vor dem nacio sense Estat, der Nation ohne Staat, sind allgegenwärtig.

Dem Analphabetismus bezüglich des Katalanischen gilt dabei das Hauptaugenmerk, er soll mit allen Mitteln verhindert werden, um die soziale und kulturelle Identität zu gewährleisten. Doch die Herausgeberin läßt auch den Künsten viel Platz. So lernen wir die Dichter Joan Oliver, Vincent Andres Estelles kennen oder die Schrifsteller Pere Calders und Oriol Pi de Cabanyes, hierzulande noch recht unbekannt, aber in ihrer Heimat MatadorInnen des Worts.

die horen, Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik, 2. Quartal 1990: „Ich Bin Aller Echo - Katalanische Impressionen“, 15 Mark.

Noch ein Nachtrag: Der durch die Agenturen geisternden Meldung, „die horen“ seien finanziell am Ende, widerspricht der Bremerhavener Redakteur Joh. P. Tammen mit Nachdruck: die Planungen seien für die Jahrgänge '93/94 bereits im vollen Gange. Das jährliche Defizit sei Tradition, bedrohe die Existenz der Zeitschrift aber keineswegs. Auch weiterhin wollen sich „die horen“ den Themenkreisen „Literaturkonzepte kleiner Länder“, „Junge, unbekannte Autoren“ und „Genrethemenbände“ widmen. Jürgen Franck