„Was nützt es, wenn wir selbständig sind, aber bankrott?“

■ Interview mit dem CDU-Landesvorsitzenden Bernd Neumann zu den Überlebenschancen des Bundeslandes Bremen

taz: Wenn Sie Bremer Senatspräsident wären, mit welcher Taktik würden Sie jetzt die Existenz des Bundeslandes Bremen verteidigen?

Bernd Neumann: Im Unterschied zu Herrn Wedemeier würde ich erstmal auf der Bildfläche bleiben. Ich halte es für unmöglich, daß in einer solchen Situation der Präsident des Senats permanent durch die Weltgeschichte reist. Jetzt muß man offensiv für Bremens Selbständigkeit eintreten.

Ich halte es übrigens für völlig legitim, zu hinterfragen, ob sich die neue Republik Deutschland einfach in 11 plus 5, also 16 Bundesländer gliedern soll. Wann, wenn nicht jetzt, sollen wir uns über eine Neustrukturierung Gedanken machen?

Sie stellen Bremens Überleben selber infrage?

Für mich ist erstmal nichts tabu, und auch wir Bremer müssen darüber nachdenken. Man muß alles infrage stellen, zum Beispiel auch, ob es sinnvoll ist, Radio Bremen zu erhalten.

Und das würden Sie auch als Senatspräsident tun?

Nein, ich will nur sagen, daß es verständlich ist, daß der Bund erstmal eine Option öffnet. Da wurde gar nicht konkret an Bremen gedacht.

Glauben Sie das? Wenn Innenminister Schäuble den Artikel 29, der eine Veränderung der Bundesländer an die Zustimmung der betroffenen Bevölkerung bindet, für zehn Jahre aussetzen will, steckt nicht mehr dahinter als ein bißchen Nachdenken?

Dahinter steht natürlich der ökonomische Gesichtspunkt, nach dem die Aufteilung elf plus fünf nicht vernünftig ist. Wenn ich von vornherein sage, das ist alles Quatsch, dann finde ich keine Bündnispartner. Es reicht nicht, zu sagen, wir wollen so bleiben, wie wir sind, egal wie verschuldet. Mit offensivem Einschalten - und das habe ich bisher vermißt meine ich eine klare Begründung für die Selbständigkeit Bremens.

Der Senat hat das bisher nach dem Motto diskutiert: Uns kann sowieso nichts passieren, der Artikel 29 bleibt, und die Mehrheit der Bremer Bürger will die Selb

ständigkeit. Sie sind erst aufgescheucht worden wie die Hühner, als es hieß, wir könnten das so ändern, daß eine Auflösung des Landes Bremen auch ohne Zustimmung der betroffenen Bevölkerung geht.

Welche Existenzberechtigung hat Bremen denn überhaupt?

Föderalismus heißt doch, möglichst viel Autonomie kulturell und historisch gewachsenen Einheiten zu geben. Da nun nicht alles ökonomisch gleichgewichtig wächst, können auch die Länder nicht gleichgewichtig sein. Der Gesetzgeber hat das bewußt in Kauf genommen.

„Bremen kann aus eigener Kraft nicht existieren“

Bremens Geschichte ist mindestens so alt wie Bayerns. Hier gibt es über Jahrhunderte eine kulturelle Einheit. Würde man Bremen in Niedersachsen eingemeinden, wäre das gebrochen.

Und weil der Gesetzgeber den Föderalismus wollte, hat er auch von vornherein einen vernünftigen Finanzausgleich gewollt. Bremen kann aus eigener Kraft in den nächsten Jahrzehnten nicht existieren. Ich kann nicht immer nur Selbständigkeit schreien. Was nützt es denn, wenn wir selbständig sind, aber bankrott.

Beim Anschluß der DDR gab es immer die Frage, was positiv ist und in das Gesamtdeutschland hinübergerettet werden soll. Was hat denn Bremen positiv beizutragen - aus Ihrer Sicht doch wohl nicht seine absolute SPD-Mehrheit?

Wenn ich das jetzt nur parteitaktisch sehen würde, dann müßte ich zu denen gehören, die sagen: Schafft die Selbständigkeit ab. Das wäre sehr verlockend, wäre aber politisch kurzsichtig und unklug. Schon deswegen, weil die Bremer es nicht wollen. Die Bremer fühlen sich als Bremer, sie fühlen sich nicht als Niedersachsen. Das ist für mich das Wichtigste.

Ich glaube schon, daß es für das Gleichgewicht der Kräfte in einer Republik besser ist, wenn es große und kleine und mehrere Länder gibt. Man könnte ja auch die ganze Republik in fünf Länder aufteilen. Das wäre aber wieder

ein Stück zurück zum Zentralismus.

Und den Preis, das zu verhindern, müssen die großen Länder halt zahlen...

Jetzt kommt das einzige Argument, das gegen Bremen angeführt werden könnte: Ihr seid so ein kleiner Kleckerstaat, Ihr seid doch gar nicht zu finanzieren. Meine Gegenthese: Alle Gebietsreformen, die es gegeben hat, haben nicht dazu geführt, daß Massen von Geld eingespart wurden. Bei dem Beharrungsvermögen in Deutschland soll sich doch keiner

einbilden, daß es möglich wäre, so ein Parlament abzuschaffen. Ich behaupte, wenn Bremen aufgelöst würde, dann würden die ihre Stadtbürgerschaft mit 80 Abgeordneten auch aufrechterhalten.

Ganz abgesehen davon, ist es natürlich ein Wahnsinn, daß wir 100 Abgeordnete haben, mit 50 ginge es genauso. Aber nun sagen Sie das mal meiner Partei...

Im Grunde ist der Bremer CDU-Chef mit dem Bremer SPD-Staat ganz zufrieden?

Nein, aber die Sozialdemokraten

würden doch auch eingebettet in Niedersachsen ihre miserable Politik fortsetzen. Auch ohne Bundesland würden die Bremer weiterhin die Sozis wählen, und die Sozis würden weiter so rumeiern. Mir gefällt hier vieles nicht, und ich halte vieles für korrigierbar, aber das ist das gleiche für ein eigenständiges Bundesland oder eine eigenständige Kommune innerhalb eines Nordstaates.

Meinen Sie, diese drei Argumente - es kostet nicht viel, es ist historisch gewachsen, die Bevölkerung will es so - sind ausreichend

für die Bremer Selbstverteidi gung?

Man muß sich Bündnisgenossen suchen, zum Beispiel auch in Bremen selbst.

Sie sind nie gebeten worden?

Na ja, seit Monaten wird da versucht, mal ein Gespräch zu führen. Aber da gehts mehr um das Geld, das der Senat in Bonn haben will.

Ich glaube schon, daß es bei der Selbständigkeit Bremens bleibt, weil nach aller Erfahrung diese ganze Diskussion ausgehen wird wie das Horneberger Schießen. Erst wird groß Radau gemacht, aber nachher sind die Eigeninteressen so unterschiedlich, daß Sie nie eine Zweidrittel-Mehrheit zustande kriegen, um etwas zu verändern. Auch die großen Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen wären wohl kaum einverstanden, wenn sie im Norden plötzlich einen gleichstarken Gegenpart hätten.

Bei der nötigen offensiven Argumentation für die Selbständigkeit Bremens zum jetzigen Zeitpunkt geht es vor allem um den Erfolg im Finanzausgleich. Die Gefahr droht von der Finanzierbarkeit Bremens her.

Im Vergleich mit Duisburg ist es in Bremen immer noch Gold...

Ich kenne die Verhältnisse in Duisburg nicht. Aber wir sind von den Spitzenplätzen in allen Bereichen auf Mittelplätze gerutscht. Und wenn wir keine finanzielle Perspektive haben, rücken wir noch weiter runter.

Fragen: Dirk Asendorpf