„Mehr als ein Kleckerprogramm ist nicht drin“

■ Der Verfall der Wohnsubstanz in Prenzlauer Berg geht weiter / Gespräch mit Matthias Klipp (Bündnis 90), Bezirksstadtrat für Bauen und Wohnen

INTERVIEW

Das Touristenidyll Prenzlauer Berg hat von allen Ostberliner Stadtbezirken die schlechteste Bausubstanz, den niedrigsten Ausstattungsgrad bei Wohnungen, den höchsten Leerstand... Wenn nicht massiv dagegen angegangen wird, sieht Baustadtrat Matthias Klipp eine trübe Zukunft: Verdrängung großer Teile der jetzigen Bevölkerung, kaum beherrschbare soziale Konflikte, die Veränderung des Stadtbezirkscharakters.

taz: Sie arbeiten in einem Stadtbezirk, der bekannt ist für seine komplizierte Sozialstruktur. Welche Rolle spielt das für die Wohnungspolitik?

Matthias Klipp: Wir sind der Stadtbezirk mit den meisten Sozialproblemen. Das heißt, wir als Bezirksamt sind eigentlich angewiesen auf die meisten Belegungsrechte für Wohnungen, nicht auf die wenigsten. Ich rechne damit, daß zum Ende der Privatisierung nur noch 20 bis 30 Prozent bei den Wohnungsbaugesellschaften bleiben. (Siehe Kasten; d.Red.)

Als Sie im Juni Ihr Amt antraten, setzten Sie an die erste Stelle Ihres Programms, den Verfall der Wohnsubstanz in Prenzlauer Berg zu stoppen. Was ist daraus geworden?

Der Verfall geht weiter. Das liegt zum einen daran, daß wir von den Mitteln, die nie gereicht haben, um den Verfall zu stoppen, ungefähr noch ein Drittel zur Verfügung haben. Ursachen sind die Abwertung der Gelder eins zu zwei, die Steigerung der Baupreise und der Staatsvertrag. Der begrenzt den Kreditrahmen so, daß er schon von der Regierung vollkommen ausgeschöpft ist. Und für die Kommunen bleibt nichts übrig. Überall in der Welt wird Bauen über Kredite abgewickelt, nur in der DDR ist das nicht möglich. Andererseits ist die Wohnungsbaugesellschaft nicht mehr uns wie früher die KWV, sondern dem Magistrat unterstellt und bekommt von ihm direkt die Mittel zur Instandsetzung und Instandhaltung. Wo die eingesetzt werden, können wir als Bezirksamt gar nicht entscheiden.

Konnten Sie dem Verfall bisher überhaupt nichts entgegensetzen?

Wir haben uns mit der Wohnungsbaugesellschaft auf ein Programm zur Leerstandssenkung und zur Winterfestmachung verständigt, also auf ein Kleckerprogramm. Mehr ist im Moment nicht drin. Bis vor zwei Wochen hatten wir überhaupt kein Geld. Vorletzte Woche erst haben die Wohnungsbaugesellschaften ganz Ost-Berlins insgesamt 504 Millionen DM vom Magistrat bekommen. Das habe ich nicht etwa vom Magistrat, sondern aus der Zeitung erfahren.

Offensichtlich läßt der Magistrat Sie ganz schön im Stich?

Weder die Information noch die Konsultation mit den Bezirken klappt. Die letzte Arbeitsberatung der Bezirksstadträte beim Magistrat ist ohne Begründung auf August verlegt worden, per Fernschreiben. Also, man kann die Bezirke informieren, wenn man will, man hat einen Fernschreiber. Dem Magistrat liegen seit dem 28. Juni Vertragsentwürfe vor, zu bestimmten Standorten, für Investoren- oder Bauherrenwettbewerbe. Der Magistrat äußert sich nicht dazu.

Wie arbeiten Sie mit der Nachfolgegesellschaft der Kommunalen Wohnungsverwaltung zusammen?

Wir beraten uns regelmäßig mit der Geschäftsführung, beispielsweise über die Gewerberaumvergabe. Aber ich hätte mir ein anderes Modell gewünscht. Nicht die Unterstellung der KWV unter den Magistrat, sondern ein Verbleiben in der Verantwortung des Bezirksamtes. Die Leute kommen mit ihren Wohnungsproblemen natürlich weiterhin zu mir.

Der Stadtbezirk hat ja nicht nur die meisten Sozialfälle, sondern auch die meisten besetzten Häuser in Ost-Berlin. Wie verhalten Sie sich gegenüber den Besetzergruppen?

Wir waren der erste Stadtbezirk, der eine Verhandlungsgruppe eingesetzt hat. Und wir haben die ersten Nutzungsverträge unterschrieben. Sieben, allerdings sowohl für Besetzer als auch für Hausgemeinschaften.

Innenstadtrat Krüger hat sich ziemlich negativ über die Westbesetzer in Ostberliner Häusern geäußert. Wie stehen Sie dazu?

Erst mal habe ich mir die Zusammensetzung der Besetzer nicht ausgesucht. Zum anderen wundere ich mich, daß diese Unterscheidung von Parteien kommt, die als Slogan ausgegeben haben: „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“. Jetzt wächst natürlich auch die Besetzerszene zusammen, und zwar ganz fix. Ich bin der Meinung, man kann noch so schöne Worte finden und mit dem Säbel rasseln - solange man kein Konzept hat, um die Ursachen zu beseitigen, die zu den Besetzungen geführt haben oder die sie begünstigt haben, solange braucht man sich über die Wirkungen nicht aufzuregen. Die Ursache ist die jahrzehntelange verfehlte Baupolitik in der DDR, die zu skandalösen Zuständen geführt hat. Darauf haben diese Leute mit drastischen Mitteln sehr öffentlichkeitswirksam aufmerksam gemacht.

Viel diskutiert ist die geplante Mietsteigerung ab 1. Januar. Bausenator Nagel hält es für unmöglich, den DDR -Mietern die Finanzierung der gesamten Stadterneuerung zuzumuten. Was meinen Sie dazu?

Wenn eine solche Verfahrensweise durchkäme, würde das für mich bedeuten, daß die jahrelange verfehlte Baupolitik auf den Rücken der Leute ausgetragen wird, die nun wahrlich nichts dafür können. Aber da brauchen wir gar nicht zu spekulieren, das ist vorgesehen, ganz eindeutig. Ab 1. Januar wird die Kaltmiete um 100 Prozent erhöht. Außerdem sollen die Betriebs- und Bewirtschaftungskosten, also Müllabfuhr, Straßenreinigung, voll auf die Mieten umgelagert werden. Das macht zusammen im ersten Schritt allein 3,60 DM Mietsteigerung. Das ist in dem Papier des DDR-Bauministers Viehweger enthalten, nicht verabschiedet, weil es auch Proteste gegeben hat, aber die Entwicklung geht eindeutig dahin. Auch die Umlegung der Instandsetzungskosten mit jährlich 11 Prozent auf die Miete ist geplant.

Wie schätzen Sie bei all den Problemen Ihre Einflußmöglichkeiten als Kommunalpolitiker ein?

Sie sind geringer, als ich mir vor meiner Wahl hätte träumen lassen. Oft ist man mit Tagesaufgaben total zugeschüttet. Ein Termin nach dem anderen, eine Beschwerde, ein Mietergespräch. Da bleiben für die Entwicklung von Konzepten nur das Wochenende oder die Nachtstunden. Aber ich glaube schon, daß man einen Haufen bewegen kann. Was Schadensbegrenzung für hoffentlich möglichst große Teile der Bevölkerung in Prenzlauer Berg betrifft. Und ich bin nach wie vor davon überzeugt, daß es auch wieder gelingen wird, die Öffentlichkeit zu mobilisieren. Die sind im Moment noch mit Währungsumstellung, Auto-Kaufen beschäftigt.

Interview: Susanne Steffen