Übern Ku'damm schwimmt ein Hai

■ Die Comedie Berlin im Grips-Theater mit „Nachts sind alle Taxen grau“

Mal ehrlich, wer weiß schon, daß man die Bißkraft von Hunden in Kilopondeinheiten angibt? Taxifahrer wissen so was spätestens dann, wenn der Neuköllner, den wir alle kennen, sein Liebstes auf die Rückbank schiebt, sich selbst danebenquetscht und sagt: Brauchst aba keene Angs ham, wa, der iss abjerichtet. Vor fünf Jahren war mal die Angst vor der ersten Fuhre größer als die Freude über den gerade ergatterten Taxischein. Kutscher 501, ein richtig lieber großer Bubi und Möchtegerncowboy der Nacht, der sich schämte, wenn Mama ihm das Stullenpäckchen für die nächste Schicht brachte. So segelte er dermaleinst ab in die Halbweltabenteuer der Möchtegernmetropole.

Jetzt, nach fünf Jahren ganz jenseits von Tag und Nacht, ist er cool und fährt sie logisch alle: die Zuhälter, die Penner (die sich einmal pro Monat 'ne Taxe vom Sozialamt sponsern lassen), die Revolverhelden, die sich aus Eifersucht ins eigene Knie schießen, die Gescheiterten, Einsamen und Verlassenen, die Punks mit toten Ratten im Gepäck. Von ihnen läßt er sich seine 501 vollquasseln und vollkotzen, er schlichtet ihre Ehestreits und fährt ihre einsamen Herzen vom Cafe Keese ins Nirgendwo, während er von seiner Traumfrau träumt, die, einmal in seine Kutsche gestiegen, sie nie wieder verlassen wird. Oder daß, auf Taxihalde im tiefsten Süden Rudows, einer die Tür öffnet und sagt: Mann, fahr mich nach Nizza! Nizza, kein Problem, da kenn‘ ich mich gerade gut aus. Wären da nicht wenigstens die Puffkopfgelder und die Touristen, die man vom Zoo aus über die Avus ins Kempinski fährt, wovon sollte man leben? Weiß Gott kein Held, aber dafür ein begnadeter Geschichtenerzähler, unterhält 501 diejenigen, deren Geschichten er selbst schon längst nicht mehr ertragen kann, oder er läßt sie einfach mal stehen und fährt und fährt und fährt ...

Wäre der dramatische Handlungsbogen genauer kalkuliert, wär‘ aus Nachts sind alle Taxen grau vielleicht sogar ein „richtiges“ Musical geworden, wie sich das die Comedie Berlin gedacht hat (Text: Andreas Pflüger, Musik: Stefan Warmuth, Regie: Leon Boden). Aber auch als einfache Musikrevue läßt das Stück keine größeren Langeweilen aufkommen. In rascher, souveräner Nummernfolge ziehen Songs, Szenen, Geschichten und Bilder der langen Nachtschichten am Publikum vorüber. Viel bekanntes Berliner Inventar, viel Lokalkolorit, keine Scheu vor Fernsehkalauern und ein gewisser Mut zu gereimten Plattheiten, das alles in der Musik poppig und ziemlich flott heruntergespielt: „Taxi, das ist der Himmel für Verliebte, auf der Rückbank nachts um drei, einmal Fliegen 14.60, übern Ku'damm schwimmt ein Hai ...“ - also auch zum Mitsingen, mit Reimen zum Behalten. Was dem einen die Linie 1, könnte dem anderen die 501 werden, schade nur, daß Taxifahren so teuer ist.

Felicitas Hoppe

Nachts sind alle Taxen grau. Bis zum 12. August im Grips, jeweils um 20.30 Uhr.