„Einheit braucht private Apotheken“

■ Volkskammergesetz ärgert Apothekerverbände / Kommt es zum Streit mit den Kommunen? / Apothekerkammer West fordert einheitliches Apothekerwesen nach Westmodell

Ost-Berlin. „Mit diesem Gesetz können wir jetzt leben“, meint Udo Eisner, Gesundheitsstadtrat in Friedrichshain und Kämpfer für die kommunale Apotheke. Durch das Aufmucken Eisners und seiner Kollegen aufmerksam geworden, verabschiedete die Volkskammer am 22. Juli ein Gesetz, wonach die Apotheken nicht den neuen DDR-Ländern, sondern den Kommunen zugeordnet werden. Sie müssen nicht mehr, sie „können“ verkauft werden. Im Juni, da sahen er und seine kommunalen Mitstreiter schon ihre pharmazeutischen Felle davonschwimmen. Der Grund: In einem Entwurf des Gesundheitsministeriums hieß es zuerst unmißverständlich: „Die Landesbehörde ist verpflichtet, Landesapotheken zum Verkauf auszuschreiben.“ Völlige Privatisierung also, durch die „kalte Küche“ auf dem Verordnungswege wollte sich der neue Gesundheitsminister Kleditsch an der Volkskammer vorbeimogeln. Das ist nicht gelungen. Die letzte Entscheidung über die Apotheken liegt bei den Kommunalparlamenten.

Doch dagegen laufen nun besonders die Apothekerverbände Sturm. Der Ostberliner Verband, munitioniert durch seine Westpendants, pocht darauf, daß alles so werde wie beim großen Bruder. In der Bundesrepublik ist das Apothekenwesen traditionell ausschließlich privat organisiert. „Völlig ungenügend“ ist daher das Volkskammergesetz für Eckehard Liemann, den Ostberliner Verbandsvorsitzenden. Er hofft nun auf den Gesundheitsminister, der soll mit seinen Ausführungsbestimmungen wieder alles geradebiegen. Doch wie nur, das Gesetz ist eindeutig. Oder hofft man auf den zweiten Staatsvertrag? Egal wie, „das geeinte Deutschland braucht ein einheitliches Apothekenwesen“, fordert auch Friedrich Wagner, Geschäftsführer von Apothekerkammer und -verein in West-Berlin. Liedmann ist sich sicher, die Mehrheit seiner Kollegen will die Privatisierung. Kein Wunder, sind doch die meisten Apotheken in einem recht ordentlichen Zustand, und wegen ihres großen Einzugskreises mangelt es auch nicht an Kunden. In Ost-Berlin teilen sich rund 10.000 BürgerInnen, in West-Berlin nur 3- bis 5.000 eine Apotheke. Kleine „Goldgruben“, die auch schon unter Honecker - als einziger Bereich des Gesundheitswesens Gewinn abwarfen. Rund 100 Millionen DM pro Jahr flossen zuletzt den Ostberliner Bezirken aus ihren 125 Apotheken zu. Billig wären sie daher sicher nicht zu haben. Ein Grund, der so manchen Apotheker mit seinem Privatisierungswunsch zögern läßt.

In der DDR sind die einzelnen Apotheken nicht selbständig, sondern „Pharmazeutischen Zentren“ zugeordnet - eins pro Bezirk beispielsweise in Ost-Berlin. Oberpharmazierat Bartel ist Leiter des Pharmazeutischen Zentrums Mitte, ihm unterstehen sämtliche 13 Apotheken des Bezirks. Seiner Ansicht nach hat sich die Konstruktion auch bewährt. Alles ist in größerem Stil möglich: der Einkauf oder die Herstellung schnell verfallender Medikamente. Für ihn ist klar, die kommunalen Apotheken sollen erhalten bleiben, daneben sollen jedoch auch private entstehen, um die vorhandenen Versorgungslücken zu schließen, die Wege für die BürgerInnen kürzer zu machen.

Udo Eisner, der Gesundheitsstadtrat, sieht hinter dem Widerstand gegen kommunale Elemente speziell die Angst der westdeutschen Pharmalobby vor dem Präzedenzfall. Sie versucht, „die 'pharmazeutische Insel‘ BRD auf die DDR auszuweiten, um in Hinblick auf die europäische Integration irreparable Tatsachen zu schaffen“, meint er und hat dabei andere europäische Länder wie Großbritannien und Spanien im Blick, wo es auch, neben anderen, öffentlich betriebene Apotheken gibt. Eisner will Geld für die gebeutelten Bezirkshaushalte, er will aber auch niedrigere Preise für die Arzneimittel. Mit größeren Einheiten und geringeren Handelsspannen sollen letztlich gar die westdeutschen Preise - die höchsten in Europa - ins Wackeln kommen. Doch davor steht wohl noch ein längerer Streit und erst mal: Preiserhöhungen. Die Medikamentendröhnung wird auch im Osten teurer. Kopfschmerztabletten kosten nicht mehr nur eine Mark, sondern mindestens vier bis fünf.

Jan Lerch